: Gegner waren nicht geladen
Schon auf dem ersten der drei Kolloquien zum Berliner Holocaust-Mahnmal akzeptierten die 70 Experten nicht die Vorgaben der Wettbewerbsauslober. Auch das „Warum“ bleibt strittig ■ Von Anita Kugler
Wer aus den Fenstern des Staatsratsgebäudes auf den Schloßplatz blickt, sieht nichts als Leere. Brachflächen zu überdenken ist eine Berliner Spezialität, erstaunlich, daß noch niemand vorschlug, hier, in Schrittweite zur Neuen Wache und zum Deutschen Dom ein Mahnmal für alle Opfer des Holocaust hinzustellen.
Gelegenheit dazu hätte es am Freitag gegeben, beim ersten der drei Kolloquiumstage im Staatsratsgebäude (Fortsetzung 14. Februar und 11. April) über die „Realisierung des Holocaust- Mahnmals in Berlin“. Denn schon nach der ersten öffentlichen Anhörung der etwa 70 Experten aus Wissenschaft, Politik und Kultur zeichnete sich ab, daß alles, was der Bund, das Land Berlin, der „Förderkreis für ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ zwischen 1992 und 1995 jemals beschlossen haben, wieder zur Disposition stehen muß.
Peter Radunski, der Berliner Kultursenator (CDU) und Gastgeber des dreistufigen Kolloquiums, hätte also am Freitag sein Waterloo erleben können, wäre er nicht nach seinem Eröffnungsvortrag abgerauscht, um seine Hausaufgaben bei der gleichzeitig stattfindenden Anhörung des Senats über den Wissenschaftsetat 1997 zu machen. Im Vorfeld des Kolloquiums war viel von einer „Alibiveranstaltung“ die Rede gewesen, ausgewählte Experten sollten nur absegnen, was ohnehin schon feststehe. Davon kann jetzt nicht mehr die Rede sein, die Regie wurde den Auslobern abgenommen.
Bevor der braungebrannte Radunski die Moderation an den sich später völlig überfordert zeigenden Exbürgermeister Klaus Schütz und den genauso hilflosen Exbundesbauminister Oscar Schneider übergab, hatte er den aus ganz Deutschland angereisten Experten erklärt, welche Rolle sie in den drei Diskussionstagen zu spielen haben. Sie dürften über alles reden, nur würde dies an der Entscheidung von Bund, Land und Förderkreis über die „Vorgaben“ nichts ändern. Denn erstens, „das Denkmal wird gebaut“. Zweitens „spätestens am 27. Januar 1997 der Grundstein gelegt“. Drittens: „Es bleibt beim Budget von 15 Millionen Mark.“ Viertens: „Der vom Wettbewerb vorgesehene Standort bleibt.“ Und fünftens: „Wir Auslober wollen unsere Entscheidung einvernehmlich treffen.“ Die Aufgabe der Experten solle es nur sein, alle „wesentlichen Argumente zu Form, Ausführung und städtebaulich-stadträumlicher Einbindung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas“, so zu „sichten und zusammenzuführen“, daß für einen der ersten neun – mit je 50.000 Mark – prämierten Entwürfe der Bauauftrag erteilt werden kann. Geredet werden sollte am ersten Tag ausschließlich darüber, warum Deutschland das Denkmal brauche. Im Februar folgt die Diskussion über den (feststehenden) Ort und erst im April über die Typologie, über die Ikonographie und über die Dimensionierung.
Der erste, der sofort gegen diese Art Diskussion auf Bestellung zu Felde zog, war der renommierte Münchner Historiker Christian Meier. Das „Ob“ sei ja nicht strittig, aber das „Wie“. Für das nächste Treffen, lautete sein Antrag zur Geschäftsordnung, seien derartige Vorgaben nicht mehr hinzunehmen, die Diskussion müsse „offen“ sein. Später wurde er polemischer. „Diese Art BRD-DDR-Angleichung – ihr dürft sprechen, ich aber sag', über was“ müsse gestoppt werden. „So lasse ich mich nicht verheizen.“ Am vehementesten wehrte sich Ignatz Bubis dagegen, alle Entscheidungen noch einmal hin und her zu bereden. Zehn Jahre habe man Zeit gehabt, alles zu diskutieren, man könne nicht mehr „von Null an beginnen“, das Kolloquium sei „eine Konzession der Auslober gewesen“. Ein neuer Wettbewerb könne nichts Neues bringen.
Daß genau dieser Punkt aber auf der Tagesordnung steht, zumindest aber die Möglichkeit, mehr als nur die neun prämierten Entwürfe zu bedenken, ergab zwingend die Diskussion nach dem Einleitungsreferat des Historikers Eberhard Jäckel. Vehement plädierte er für den vor allem von Lea Rosh favorisierten Entwurf der riesigen Grabplatte mit den eingravierten Namen von etwa 4,3 Millionen ermordeter Juden. Der Entwurf von Christine Jackob-Marks und anderen war im Sommer 1995 von der Jury ausgewählt worden, eine Entscheidung, die sowohl in der Öffentlichkeit als auch vom Bundeskanzler kritisiert und daraufhin zurückgestellt worden war.
Auf den im Vorfeld vor allem von Juden geäußerten lauten Protest, daß das Land der Täter sich nicht ungeniert aus dem Fundus der jüdischen Symbolik bedienen könne, ging Jäckel nicht ein. Später mußte er sich von der Publizistin Rachel Salamander anhören: „Jüdische Riten sind kein Selbstbedienungsladen, wo man sich bestimmte Traditionen herauspickt und sie für eigene Zwecke instrumentalisieren kann.“ So war es auch nicht überraschend, daß Jäckel den vor allem vom Architekten Salomon Korn kritisierten Ort des Denkmals ideal fand. Denn „die Opfer erheben sich über die Täter“, wenn ihnen nahe der alten Reichskanzlei und den SS-Bunkern gedacht werde.
Jäckels Vortrag wirkte wie Salz in offene Wunden. Mit keinem Wort ging er auf die Crux ein, daß die Experten über ein „Holocaust- Mahnmal“ reden sollen, es in Wirklichkeit aber nur um eine einzige Gruppe der Holocaust-Opfer geht. Der Historiker Reinhart Koselleck formulierte den Widerspruch am geschliffensten: „Fällt die Entscheidung gegen ein gemeinsames Denkmal für alle Opfer des Terrorsystems, so akzeptieren wir eine Hierarchie der Toten.“ Auch der Historiker Jürgen Kocka ging auf den Unterschied zwischen einem Holocaust- und einem Denkmal zur Erinnerung an die Shoa ein. Bei dem einen erinnere man die Tat, beim anderen trauere man um die Opfer. Die Entscheidung für das eine oder das andere impliziere eine andere Formsprache. Er vermisse bei dem geplanten Denkmal für die jüdischen Opfer den Ausdruck der „Scham“. Alle Entwürfe seien „dröhnend und monumental“ ausgefallen, „aber die Scham ist leise, wendet sich nach innen, ist bescheiden“. Auch vermisse er, das „notwendige Beziehungsgeflecht“ zu der Berliner Gedenkstättenlandschaft, zu den authentischen Orten des Naziterrors, zu Einrichtungen wie die Topographie des Terrors, das Haus der Wannseekonferenz. Diese Kritik formulierten später die Kunsthistorikerin Kathrin Hoffmann-Curtius und das Jury-Mitglied Stefanie Endlich sehr vehement. Beide bekamen viel Beifall von den etwa 100 ZuhörerInnen des Kolloquiums. Sie fragten, warum unter den geladenen Gästen denn kein einziger Gedenkstättenleiter sei und auch nicht die bekanntesten Kritiker des Vorhabens.
Zumindest die letztere Gruppe, so könnte man die Veranstaltung bilanzieren, hat sich entschieden vergrößert. Von den etwa 30 sich zu Wort meldenden Experten fanden sich nur zwei, die die von Bund, Land und dem Förderverein gesetzten Vorgaben uneingeschränkt gut fanden. Den Auslobern scheint bei der Veranstaltung der Atem weggeblieben zu sein. Keinem ihrer Vertreter, auch nicht den Moderatoren, fiel eine einzige Nachfrage an die Experten ein. Den beschworenen „Dialog“ gab es nicht.
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