Basis marschiert, Führung steht still

Wie jedes Jahr ehrten Zehntausende in Berlin die KPD-Gründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. An der umstrittenen Protestdemonstration nahmen vor allem Jugendliche teil  ■ Aus Berlin Jens Rübsam

Die Hand zur Faust geballt und den Arm hochgestreckt: Heinz Maether steht vor dem wuchtigen Grabstein „Die Toten mahnen uns“, schaut hinab auf die Gräber von Karl und Rosa und auf ein Meer aus roten Nelken, und er schweigt. Er schweigt länger als all die anderen vor ihm. Dann geht er weiter, zum Grab von Wilhelm Pieck, dem ersten Präsidenten der DDR. Seine Hand ist noch immer zur Faust geballt, weil es kalt ist, und nur deswegen hat er sie im Wintermantel vergraben. Ein paar Meter weiter, am Grab des Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, bleibt er noch einmal stehen, reißt die drei verbliebenen Nelken aus der Plastefolie und legt sie nieder. Wieder schweigt Heinz Maether. Dann verläßt der 70jährige die Gedenkstätte der Sozialisten, dreht sich noch einmal um und sagt: „Das ist ein großer Gedenktag der deutschen Arbeiterbewegung. Ich freue mich, daß alle, die links stehen, hierherkommen, um dem herrschenden System etwas entgegenzusetzen.“

Mehrere zehntausend Menschen ehrten gestern an der Gedenkstätte der Sozialisten im Ostberliner Stadtteil Friedrichsfelde die am 15. Januar 1919 ermordeten kommunistischen Arbeiterführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Es kamen Männer wie Heinz Maether, die schon 1951 hier waren, als die Gedenkstätte nach dem Wiederaufbau eingeweiht wurde. Es kamen Frauen wie Freia Jonas, die nicht begreifen können, wie diese Bundesrepublik immer mehr Armut produzieren kann, ohne daß sich dagegen größerer Protest regt. Es kamen Jugendliche wie Birgit aus dem thüringischen Heiligenstadt, die Rosa eine bewundernswerte Frau finden. Jugendliche, die bei dieser Gelegenheit ein Autogramm von Gregor Gysi erhaschen wollen und die es schade finden, daß vor der Gedenkstätte ein „Jahrmarkt der Revolution“ tobt. Karl und Rosa sind zu Ikonen mutiert, auf Ansichtskärtchen, Tassen und Tellern, auf all den Handzetteln, die gestern von zig Organisationen und Verbänden verteilt wurden.

Unter den Teilnehmern der Gedenkveranstaltung die gesamte PDS-Parteispitze: Gregor Gysi, der Chef der PDS-Bundestagsgruppe, Lothar Bisky, der Parteivorsitzende, Hans Modrow, der Ehrenvorsitzende. Bisky sprach von einem „Eintreten für die kleinen Leute, die derzeit unter dem menschenunwürdigen und brutalen Sozialabbau sowie der Arbeitslosigkeit leiden“ und gab damit der Gedenkveranstaltung doch noch einen aktuellen Bezug. Im Vorfeld der Ehrung war es zu scharfen Auseinandersetzungen innerhalb der PDS gekommen, weil der PDS-Bundes- und der Landesvorstand Berlin zwar zu einem „stillen und individuellen Gedenken“ im Sinne von Karl und Rosa aufgerufen hatten, aber nicht zur parallel stattfindenden Demonstration.

Dort zog ein Meer aus roten Fahnen vom Platz der Vereinten Nationen (ehemals Leninplatz) im Bezirk Friedrichshain zur Gedenkstätte. Seite an Seite KPD und DKP, die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands und die Sozialistische Alternative, die Bolschewistische Jugend, Juso- Gruppen sowie, in einem Block, 2.000 Antifa-Jugendliche aus ganz Deutschland. Insgesamt demonstrierten 10.000 Anhänger verschiedener linksradikaler Gruppierungen. Ihre Losungen: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, „Rebellion ist Gerechtigkeit“ „Es reicht, wir wehren uns“ oder „BRD und Nato raus aus Jugoslawien!“ Ihre Lieder: „Die Internationale“, immer wieder „Die Internationale“ und ganz laut die Zeile „Völker, hört die Signale!“ beim Einmarsch in die Gedenkstätte. Mittendrin im Demonstrationszug auch PDSler. „Ich finde es traurig, daß sich die Parteispitze von der Demo distanziert hat“, sagt Anja Muhs. Und Wilfried Stöhr fragt sich, ob sich die PDS mit der Weigerung nicht dem Druck der Rechten gebeugt habe, auch und besonders im Hinblick der angedrohten Überwachung durch den Verfassungsschutz.