Schwule Reflexzonenmassage

Ein solcher Bogen von banalem Alltag zu sprachlicher Brillanz gelingt sonst nur Max Goldt: Detlev Meyer gilt als Geheimtip des literarischen Feuilletons. Nun hat er „Die PC-Hure und der Sultan“ mit Geschichten aus zehn Jahren veröffentlicht  ■ Von Axel Schock

Wenn der Hamburger Verlag MännerschwarmSkript diese Auswahl von Feuilletons und Rezensionen der vergangenen zehn Jahre als „Geschichten“ verkauft, so mag das zunächst ein bißchen gemogelt sein und falsche Leseerwartungen wecken, letztlich aber trifft die Bezeichnung auf Detlev Meyers Texte nur zu gut. Denn selbst wenn er vorgibt, Barbara Vines neuesten Krimi zu rezensieren oder Reportagen über das erste mit staatlichem Segen getraute homosexuelle Ehepaar in Dänemark oder die erste schwule Kreuzschiffahrt durchs Mittelmeer zu liefern – Detlev Meyer scheitert als Journalist und gewinnt als Literat. Ganz gleich, aus welchem Anlaß diese Feuilletons geschrieben wurden, es sind letztlich immer literarische Texte entstanden, weitab von tagesaktueller Bedeutung. Texte voll Esprit, beeindruckender sprachlicher Geschliffenheit und Brillanz; elegant erzählte Miniaturen, die in ihrer bisweilen inszenierten Kunstfertigkeit auffallend zeitlos erscheinen. Aus Kolumnen werden so Geschichten.

Derlei gelingt hierzulande gerade mal noch Max Goldt. Aus diesem Grund haben Meyers Momentaufnahmen und Gedankenflüge aus zehn Jahren, die zunächst weitgehend für die Schwulenzeitschriften Magnus und Siegessäule sowie die Illustrierte Stern geschrieben wurden, schadlos überdauert.

Meyer ist ein Meister der kleinen Form. Elegant und mit unnachlässiger Freude an feinziselierten Formulierungen schlüpft er mal in die Rolle des dozierenden Sophistikers, mal in die des träumerisch-verklärten Idealisten oder lieblich-bösen Beobachters des – vor allem schwulen – Lebensalltags.

Eine Sammelrezension schwuler Softporno-Romane gerät zur ironischen Persiflage der Schreibweisen dieser Einhandliteratur mitsamt ihren Klischees und Topoi. Und schon wimmelt es von prallen Oberschenkeln, animalischen Gerüchen, die aus verschwitzten Körpern dringen, und anderen keuchenden Metaphern. Der Rezensent sieht sich plötzlich mit „makellosem, muskulösem Oberkörper, der glatt war wie eine Statue aus Alabaster“, als Schreibsklave des Kulturredakteurs, und aus dem literaturkritischen Aufsatz ist längst eine master and servant-Geschichte um beschämend niedriges und entsprechend demütigendes Zeilenhonorar geworden.

So sehr sich Detlev Meyer auch als Chronist des bundesdeutschen schwulen Alltags beweisen mag – den jeweils aktuellen Debatten und Trends und der Ernsthaftigkeit, mit der sie zumeist vorgetragen werden, begegnet Meyer stets mit leiser Skepsis und selbstbewußter Ignoranz. Auf das Dauer- Modethema „Schwule Ästhetik“ reagiert er mit einer veralbernden Glosse. Die allgemein kritische und polemische Stimmung gegen die einstmalige Leitfigur Rosa von Praunheim relativiert er, indem er das „Schmäh- und Höhnepotential“ der gay community als ebenbürtige Selbstüberschätzung eines jeden einzelnen reflektiert.

Meyer amüsiert sich über die Kleinkrämerei der Szene und ihrer geschmacklichen Verirrungen, kitzelt liebevoll an den Schwächen, macht sie zu Pointen. Sarkasmus ist seine Sache nicht, eher die (Selbst-)Ironie. „Schwule Fußreflexzonenmassageseminare und einen informellen Arbeitskreis homosexueller Lohnsteuerzahler“, das sei längst Gegenwart. „Unsere kulturellen Leistungen werden sich zu einer derart gewaltigen Summe addieren, daß wir den Aufstieg von der Sub- zur Hochkultur erleben werden! Das Geistige und das Schöne werden unseres Geistes und unsere Schönheit sein, und an nichts wird es mangeln. Alles werden wir haben, bis auf den schwulen Konsalik. [...] Ich bedauere feststellen zu müssen, daß wir für Leidenschaften zu geizig, für Siege zu neidisch und für die Don Kosaken zu amerikanisiert sind.“

In gleich fünf Texten, der früheste aus dem Jahr 1987, beschäftigt er sich mit dem Umgang der schwulen Szene mit Aids und den sozialen Veränderungen durch die Krankheit. In „Pariser Leben“ geht sein Blick zurück in die siebziger Jahre, die wie „ein endloser Sommer“ waren, ein Paradies der sexuellen Unbekümmertheit: „Irgendwann hatte jeder einmal einen Tripper, der meistens nicht ungelegen kam. In den sieben Tagen der Enthaltsamkeit wurde die Küche renoviert, ,Der Mann ohne Eigenschaften‘ gelesen oder das Adressenverzeichnis auf den neuesten Stand gebracht.“ Er beschwört dies Arkadien der „ewigen Mittdreißiger aus den getürkten Kontaktanzeigen“, um den Verlust durch Aids und den Wandel im sexuellen Lebensstil klarer werden zu lassen: „Kondome sind nicht die niedlich geredeten ,flutschigen Dinger‘ aus den frühen Anzeigen der Deutschen Aids- Hilfe, sie sind nicht ,in‘, schick, schrill oder der letzte Schrei. [...] Kondome sind gewiß keine Bereicherung unserer Sexkultur, das rede uns niemand ein.“ Eine banale Erkenntnis, gewiß. 1988 allerdings galt sie weithin als politically incorrect, stellte sie doch das Präventionskonzept von Aids-Hilfe und BzgA ein Stück weit in Frage.

Anstatt sich an der literaturwissenschaftliche Debatte um den fehlenden großen deutschen „Aidsroman“ zu beteiligen, liefert Meyer das Anfangskapitel des ultimativen Aidsbestsellers (mit Happy-End) als adjektivgeschwängerte Persiflage auf schicksalhafte Arztromanschmonzetten. Zwei Jahre nach dieser Glosse veröffentlichte er „Ein letzter Dank den Leichtathleten“, den dritten Band seiner „Biographie der Bestürzung“, seinen sicherlich bislang wichtigsten Publikumserfolg.

Obgleich „Die PC-Hure und der Sultan“ die inzwischen zehnte Buchveröffentlichung des 1950 geborenen und in Berlin lebenden Autors ist, gilt Meyer leider immer noch als eine Art Geheimtip. Für Neueinsteiger bietet der Band einen gelungenen Querschnitt durch seine diversen literarischen Stimmen. Für alle anderen ist es ein Pausenbrot für die Wartezeit bis zum Frühjahr. Dann nämlich soll eine komplette Neuausgabe der „Trilogie der Bestürzung“, erstmals in einem Band zusammengefaßt, erscheinen.

Detlev Meyer: „Die PC-Hure und der Sultan“. Geschichten 1986–1996. MännerschwarmSkript, 1996, 142 Seiten, 28 DM