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Die schnelle Mark mit dem Euro

Anlageberater nutzen schon jetzt die Angst vor der Abschaffung der D-Mark 1999. Bei Rechtsanwälten stapeln sich die Klagen von Geschädigten  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Sagen wir, der Mann heißt Harald S. Bisher hatte er sich kaum Gedanken über den Euro gemacht. Aber seit einem Anruf am Vormittag geht ihm die Frage nicht mehr aus dem Kopf: Was bedeutet der Euro für seine Druckerei? Steigen die Zinsen, und machen sie die knappe Kalkulation womöglich zunichte? Immerhin – er weiß jetzt, daß er sich um das Thema kümmern muß.

Der freundliche Anrufer von einer Vermögensberatungsfirma in Mönchengladbach hat ihm bereits einige Artikel aus dem Handelsblatt und vom Bund der deutschen Industrie zugefaxt. „Gehen Sie doch mal zu Ihrem Geldinstitut und erkundigen Sie sich selbst“, hat er geraten. Doch sehr viel weiter hat Harald S. das nicht gebracht. Sein Bankberater hat nur abgewiegelt, er solle sich keine Sorgen machen.

Ein paar Tage später ruft der Herr wieder an. Ausführlich unterhalten sie sich über Harald S.' geschäftliche Situation. Alles wirkt sehr seriös, der Mann scheint wirtschaftspolitisch gut informiert zu sein. „Es gibt da eine Ecu-Staatsanleihe, die von Brüssel gestützt wird“, berichtet er. Für 8.500 Mark sollen Klein- und Mittelständler damit die Wechselkursrisiken bei Einführung des Euro ausgleichen können. „Das Papier ist mit AAA ausgezeichnet – also absolut sicher. Und Sie können es jederzeit wieder verkaufen“, versichert er. Zudem könne sich S. auf 300 bis 400 Mark Zinsen im Monat einstellen – unversteuert. Auch die Kosten verschweigt der Mann nicht: 10 Prozent Abschlag würden fällig für den deutschen Vermittler und den Schweizer Broker, der die Geschäfte plaziere.

Kurz darauf kommt Post aus Mönchengladbach. Absender: ACE Commercial Vermittlungsgesellschaft. Und auch das Genfer Brokerhaus Surge Trading meldet sich. In einer edlen Broschüre mit Fotos vom Börsenparkett werden Termin- und Differenzgeschäfte erläutert; hinten drin klemmen mehrere Seiten Vertragstexte, die einzeln zu unterschreiben sind. Der freundliche Herr von ACE hat schon erläutert, welche Seiten Harald S. sich beim Durchlesen ersparen kann. Weil ja alles besprochen ist, schickt S. die unterschriebenen Papiere schnell zurück und legt auch den geforderten Scheck von 8.500 Mark bei. Ein paar Tage später kommt ein Kontoauszug aus der Schweiz – Disagio und Kommission sind schon abgezogen, alles wie besprochen. Harald S. ist beruhigt.

Unterschrieben hat S. nicht nur, daß er über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften informiert wurde und das Genfer Brokerhaus Surge Trading selbst bei Totalverlust des Geldes nicht zur Verantwortung zu ziehen ist. Er hat auch der Mönchengladbacher Firma ACE Commercial eine Vollmacht über sein Konto ausgestellt. Jeder Ver- und Ankauf kostet entweder 200 Dollar oder 250 Mark. Und bei einem Nettogewinn kassiert Surge Trading 15 Prozent als Erfolgshonorar.

Vom Euro steht dagegen in dem ganzen Papierwust, den S. abgesegnet hat, kein Wort. Statt dessen: „Erfüllungsgehilfen der Surge Trading sind nicht befugt, von dem schriftlichen Informationsmaterial abweichende Aussagen oder Versprechungen zu machen.“ Und was ACE eigentlich für S. erledigen sollte, hat der Druckereibesitzer zwar mit dem freundlichen Herrn besprochen. Aber die Unterlagen aus Mönchengladbach enthalten ein ganz anderes Angebot. Dort geht es in für Laien schwer verständlichen Worten um ein risikoreiches Termingeschäft mit Ecu- Future und keineswegs um eine Wechselkursabsicherung.

Der nette Vermittler heißt Robert J. und ist vor kurzem aus dem Geschäft ausgestiegen. „Wir haben die Leute übers Ohr gehauen. Eine von Brüssel gestützte Ecu- Staatsanleihe gibt es gar nicht“, räumt er ein. Doch was mit dem Geld tatsächlich passiert, weiß auch er nicht. „Sobald die Leute gezahlt hatten, waren wir aus dem Geschäft draußen.“

Denn auch wenn den Kunden immer vorgegaukelt wurde, daß alle Anrufe von ACE in Mönchengladbach kamen, so saßen die Telefonanrufer doch tatsächlich in einem Dachgeschoß in Gießen, das eine Firma Jens Müller und Partner angemietet hatte. Zusammen mit mehreren Kollegen rief Robert J. den ganzen Tag lang Unternehmer in ganz Deutschland an. „Die Adressen hatten wir aus den Gelben Seiten“, erzählt er. Ärzte, Klempner, Kureinrichtungen – die Angst vorm Euro ist offenbar weit verbreitet. Etwa eine Million Mark kamen so in Gießen pro Monat zusammen, schätzt Robert J.

Hatten die Leute angebissen, gab J. seine Informationen über die Kunden an ACE in Mönchengladbach weiter. Bei Mutigen und Ängstlichen zockten die Geldeintreiber noch einmal viel Geld ab – für angebliche Kaufoptionen auf Platin, Weizen oder Yen.

So wurde auch Harald S. noch einmal 50.000 Mark los. Sein Kapital aber schwand in den nächsten Monaten rapide. Nicht nur die enorm hohen Gebühren schlugen zu Buche. Leider mußte der ACE- Mitarbeiter auch wiederholt massive Verluste melden, die nur durch einen Nachschuß auszugleichen seien. Als Harald S. noch einmal seinen ursprünglichen Berater Robert J. sprechen wollte, teilte man ihm mit, der sei bei einem Motorradunfall tödlich verunglückt.

Tatsächlich hält sich Robert J. versteckt. Seit er heimlich einige seiner Kunden gewarnt und seinen Job in Gießen geschmissen hat, fühlt er sich bedroht. „Die hatten vor allem Angst, daß ich die Masche an einen Konkurrenten auf dem grauen Kapitalmarkt verrate“, vermutet er. Doch inzwischen interessiert sich offenbar auch die Staatsanwaltschaft für die dubiosen Geschäfte. Und die Gießener Akquisitionsfirma Jens Müller und Partner hat inzwischen ihre Liquidation beim Amtsgericht angemeldet.

ACE-Chef Oliver Hintzen droht bei Veröffentlichungen über seine Firma sogleich mit juristischen Schritten. „Es liegt kein Anlagebetrug in irgendeiner Form vor“, heißt es in der Stellungnahme seines Rechtsanwalts. Alle Kunden hätten mit den Ecu-Futures ein Plus gemacht – allerdings seien Kommission und Disagio dabei nicht einberechnet. Der abtrünnige Mitarbeiter sei ein Spinner, so Hintzens Lesart.

Auch sein Rechtsanwalt sieht in den ACE-Geschäften nur einen „ganz normalen Anlagebereich“. Leider gebe es für derlei Firmen in Deutschland noch keine Aufsichtsbehörde – ansonsten würde sich ACE ihr „freudestrahlend“ unterstellen. Ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer bekommt bei ACE dennoch keine Einsicht in die Bücher. „Dies wäre auch nicht sinnvoll, da die ACE keinerlei Kundengelder selbst entgegennimmt und hält, sondern die Zahlungen immer an den Broker erfolgen“, läßt der Rechtsanwalt ausrichten. Doch auch die Schweizer Surge Trading konnte bisher mangels rechtlicher Grundlage nicht überprüft werden. So bleibt den Kunden nur Hintzens Versicherung, die Geschäfte würden durch regulierte Ausführungsbroker ordnungsgemäß abgewickelt.

Unterdessen stapeln sich bei Anwälten, die auf Kapitalanlagen spezialisiert sind, die Akten von ACE-Geschädigten. Ob das eingezahlte Geld tatsächlich jemals auf dem Markt plaziert worden ist oder in dunkle Kanäle geflossen ist, bleibt unklar. Erschwerend kommt hinzu, daß die ACE-Kunden eine Schweizer Schiedsstelle als Ort für juristische Auseinandersetzungen akzeptiert haben. Unter Ausschluß der ordentlichen Gerichte und der Öffentlichkeit soll dort eine gütliche Einigung erzielt werden.

Mehr als 10.000 Mark Gebühren müßte Harald S. für die Anrufung einer solchen Schiedsstelle noch einmal vorschießen, wenn er einen Teil seiner Zahlungen wiedersehen will. Doch auf dieses Va- banquespiel möchte er sich nicht mehr einlassen.

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