: Primitivität in Schraubstöcken
■ Dräuend-gedrücktester Hardcore-Sud von Korn vertreibt die Dämonen des Crossover
In den zehn Geboten der Post-Moderne steht die Pflicht zum Differenzieren ganz oben. Denn nur über diese notwendige Tugend gelangen wir durch das abschreckende Dickicht beliebiger und vor Klischees strotzender Kombination zu lebendiger Kultur.
Solches gilt bei Korn im ganz wörtlichen Sinne. Denn die Zuschreibungen, mit denen sich das südkalifornische Quintett umgibt, gehören zu den überstrapaziertesten Insignien von Jugendlichkeit. Musikalisch heißt das immer noch Cross-over und meint eine Addition von Metal oder Hardcore zu einem HipHop-Stil inklusive Gestus, der aus jeglichem Kontext gerissenen wurde. Dies ist der amerikanische Traum, der „Melting-Pot“, der männlich-harte, aber auch lässig über den Dingen stehende Wust aus Codes und Kleidung.
Auch Korn langweilen durch die längst in den Mainstream absorbierte Uniformierung aus Dreadlocks, tiefsitzenden Hosen und Mützen sowie ebenso kunstvollen wie inhaltslosen Tätowierungen. Doch darüber hinaus ist Korn eigen. Denn ihre spezielle Energie resultiert aus einer anderen Quelle: Kaum jemals hat eine Band – und gar eine dieses Genres – die Psychosen ihrer Jugend so direkt in Kunst übersetzt.
Die Biographie dahinter stammt von Jonathan Davis, dem Gründer und Sänger, der seine Kindheit in Form zweier Stücke umsetzte: „Daddy“, das letzte Stück der ersten Platte, steigert sich in eruptiven Schmerz, während „Kill You“ an gleicher Position auf der neuen Veröffentlichung eine Homage an seine Stiefmutter ist.
Illustriert werden diese freudianischen Abgründe von einer Musik, die in Bezug auf Dichte und kontrollierter Heftigkeit neue Maßstäbe setzt. Im Vollbesitz von Technik konstruieren Korn Primitivität, schicken die komprimierten oder gedehnten Traditionen aus Metall und Sprechgesang in kleine, klaustrophobische Räume, wenn nicht sogar in Schraubstöcke.
Heraus kommt der dräuend gedrückteste Hardcore-Sud, der jemals zur Jugend sprach. Ein schon halb darniederliegenes, letztes Aufbäumen vor der Apokalypse. Der spezielle Spaß, der Korn trotz allem noch innewohnt, umschreibt sich am besten mit Jonathan Davis' Kombination aus Job und Hobby: Privat spielt der Sänger Dudelsack und arbeitete bis vor kurzem in der Autopsie. Holger in't Veld
Di, 21. Januar, 21 Uhr, Markthalle
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