: Der Weg durch die Zeichen
■ Neue und alte Liebeserklärungen auf dem Bildschirm: Die Niederländerin Merel Mirage macht das Leben im globalen Datenraum zum Thema ihrer Kunst
Das Modell eines beliebigen Arbeitszimmers, in der einzigen Wand ist ein Bildschirm eingelassen. Zwei Personen schicken sich elektronische Briefe zu. „Heute ist der Tag der Rose“, lese ich. „Man schenkt der Person eine Rose, die einem am meisten bedeutet, deshalb schenke ich Dir diese eine @--->--->“.
Eingeklickt habe ich mich durch mein Körpergewicht. Kaum habe ich mich auf dem Hocker vor dem Schreibtisch niedergelassen, ist das Bild angesprungen. „Bitte, mache mich nicht größer als ich bin, mache mich nicht zu Deinem Geliebten, betrachte mich als Deinen Freund. Hör auf, über mich nachzudenken, Du hast mich noch nicht einmal gesehen.“ Zwölf Minuten lang verfolge ich den Dialog weiter. „Vor was fürchtest Du Dich?“ Ein Schmetterling taucht irgendwo auf, versucht vergeblich durch die Scheibe auszubrechen. „Ich fürchte mich vor Deinen Fantasien,“ schreibt die eine der unbekannten Personen, die andere antwortet: „Es ist mir egal, wie Du aussiehst.“ Dann bricht der Kontakt ab. Die Seifenblase vom großen Glück ist geplatzt.
Arbeitszimmer und Dialog sind Teile der Installation „Thema: Verschlüsselte Gefühle“, die Merel Mirage in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin aufgebaut hat. Merel Mirage ist Mitte der 60er Jahre in Holland geboren, lebte zehn Jahre in Nicaragua, Japan und Tibet, drehte Videos, schrieb Geschichten, jobbte als Geisha und kehrte Anfang der 90er Jahre nach Europa zurück, um für die Biennale in Venedig ein Video zu produzieren. Seit drei Jahren beschäftigt sie sich an der Kölner Akademie für Medienkunst mit dem Internet. Sie versucht, das Leben im virtuellen Raum auch in Kustausstellungen zum Thema zu machen. Denn nur eine Minderheit hat bisher Zugang zum Internet, deshalb baut Mirage charakteristische Situationen offline nach. (Die Installation „Verschlüsselte Gefühle“ ist in Berlin noch bis zum 22. Januar zu sehen.)
Andere Arbeiten sind online zu betrachten. Eine heißt „Poem Navigator“ und ist abrufbar unter http://www.khm.de/~merel/. Die Website stellt verschiedene Varianten zur Verfügung, durch ein chinesisches Gedicht zu surfen. Mirage hatte die Verse in einem Film gehört, ohne sie zu verstehen. Der Koch in einem chinesischen Lokal hat es ihr übersetzt und die Zeichen aufgeschrieben. Einige sind auf dieser Seite abgebildet, von dem Text selbst war Mirage zunächst enttäuscht: Es schien nur ein banales Liebesgedicht zu sein. Also begann sie, nach den eigentlichen Bedeutungen zu fragen. Der Weg läßt sich nun auf der Website nachvollziehen, deren tiefrote Einzelseiten immer neue Interpretationen anbieten.
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