„Den Zuhörer verführen, nicht belehren“

■ Ingo Metzmacher, ab 1997 Generalmusikdirektor an der Hamburg Oper, zu seinen Plänen für die Oper und die Philharmoniker, Mißverständnissen über die Neue Musik und seine Angst vorm Komponieren Von Sven Ahnert

taz: Ingo Metzmacher, Sie werden ab der Spielzeit 1997/98 gemeinsam mit Albin Hänseroth die Hamburg Oper leiten. Mit welchen ersten Problemen sehen Sie sich konfrontiert?

Ingo Metzmacher: Die Disposition der Oper ist sehr schwierig. Da sind zum einen die Politiker, die verlangen, daß viel gespielt wird. Wir sollen 200 Opernaufführungen im Jahr machen. Auf der anderen Seite werden die Arbeitszeiten verringert. Für eine bessere Oper muß man aber auch mehr arbeiten. Mit diesem Problem haben wir noch eine harte Nuß zu knacken.

Sie gelten als Spezialist für die Musik des 20. Jahrhunderts. Was haben Sie aus der Musik dieses Jahrhunderts für Ihre Hamburger Programme vorgesehen?

Wir müssen endlich einmal den ungeheuren Reichtum der Musik unseres Jahrhunderts zur Kenntnis nehmen. Es gibt da soviele Richtungen. Zum Beispiel die Musik von Alexander Skrijabin oder von Karol Szymanowsky. Oft wird die Musikgeschichte immer an den deutschen Hauptlinien gemessen: Bach-Beethoven-Brahms. Den Franzosen zum Beispiel ist die Entwicklung des Gedankens in der Musik nicht so wichtig. Das heißt aber nicht, daß das keine bedeutende Musik ist. Ganz im Gegenteil. Die beschäftigt sich einfach mit anderen Dingen. Ich möchte gerne Akzente in diese Richtung setzen, denn es gibt Musik, die in Hamburg seit 1945 noch nie gespielt wurde.

Können Sie Namen nennen?

Natürlich Berlioz. Er hat ja wirklich ganz große Sachen geschrieben. Nicht zu vergessen, Debussy! Doch es gibt auch noch andere französische Komponisten des 20. Jahrhunderts, die ich vorstellen möchte.

Was werden die Hamburger noch Neues in der Oper hören?

Neben Janacek und Britten (Peter Grimes) sollen so ziemlich alle wichtigen Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts zu ihrem Recht kommen. Das können sie sich ja an ein paar Fingern abzählen, was da in Frage kommt! Wir werden ganz sicher Henze spielen. Zweimal im Jahr wollen wir mit Produktionen auch nach Kampnagel gehen. Das ist ein Ort, der ein anderes Publikum anspricht, aber auch alternative Inszenierungsmöglichkeiten zuläßt, die eine Guckkastenbühne nicht bieten kann. Nach 1945 sind viele Opern komponiert worden, die auf einer traditionellen Bühne nicht funktionieren.

Wie ist das mit den Uraufführungen? Sie wollen in diesem Jahrtausend keine mehr bringen?

Bis zum Jahr 2000 gibt es keine Opernuraufführungen. Es gibt wirklich wichtige Opern aus diesem Jahrhundert, die müssen erstmal kommen. Besonders Janacek und Britten. Gerade Janacek hat so eine direkte Sprache. Ähnlich wie Verdi. Ich bin aber mit vielen Komponisten im Gespräch über kommende Opernobjekte. Ab dem Jahr 2000 wird es wieder Uraufführungen geben. Vielleicht sogar eine pro Spielzeit.

Wieviel soll vom alten Repertoire übernommen werden?

Natürlich waren Albin Hänseroth und ich anfangs voller Euphorie, haben überlegt, was wir alles spielen wollen. Doch dann kommt das Repertoire hinzu, wie ein Insektenschwarm, und trübt allmählich das Bild. Grundsätzlich streben wir an, weniger Titel zu spielen. Aber es gibt alte Inszenierungen, die sind billig und immer einsatzbereit, wie Hänsel und Gretel. Wenn das auf dem Spielplan steht, ist der Laden voll. Solche Titel wird es immer geben, um eine Atempause für anderes zu bekommen.

Wie riskant können Sie planen?

Man muß auch in dem Sinne wirtschaftlich denken, daß man künstlerisch etwas wagen sollte. Ohne Innovation geht jedes Wirtschaftsunternehmen pleite. Und auch wer auf dem Opernsektor nichts riskiert, hat keine Chance.

Empfinden Sie das Hamburger Publikum eigentlich als besonders konservativ?

Ich höre in Hamburg immer, das philharmonische Publikum könne man nicht begeistern. Meine Erfahrung ist da völlig anders. Ich habe hier Charles Ives und Karl Amadeus Hartmanns, 1991 Amériques von Edgar Varèse und 1992 Rihms Eroberung von Mexico dirigiert. Bei diesen Gastspielen habe ich immer gespürt, daß die Hamburger offen sind für Unbekanntes, dankbar für etwas Besonderes. Ich glaube, es gibt da Leute, die das Neue verhindern wollen, darum erzählen die immer die gleichen Geschichten von den Abonnenten, die entsetzt den Saal verlassen. Das ist wie im Fernsehen, wo immer von irgendwelchen Quoten die Rede ist, die rechtfertigen sollen, daß man die Zuschauer immer dümmer machen kann. Wenn man dem nachgibt, hat man das Nachsehen. Man muß nicht ins offene Messer laufen, aber man muß was riskieren.

Wie bewerten Sie die allgemeinen Akzeptanzprobleme bei neuer Musik?

Zunächst einmal: Warum muß man über Musik überhaupt soviel wissen? In erster Linie braucht Musik doch Offenheit, eine Bereitschaft des Ohres und der Sinne. Ein Vorurteil gegenüber neuer Musik ist immer, man müssse viele Bücher zum Thema gelesen haben. Das stimmt einfach nicht. Bei Nonos Prometeo müssen Sie zum Beispiel nur viel Zeit und innere Ruhe mitbringen. Mein Ziel ist hier ganz klar: Ich will neugierig machen. Früher hat man sich auf einen neuen Mozart gefreut. Dieses Gefühl ist uns verlorengegangen.

Ihre Zusammenarbeit mit den Philharmonikern, mit denen Sie die letztgenannten Werke aufgeführt haben, empfinden Sie also als durchaus fruchtbar?

Diese Arbeit hat bisher sehr viel Spaß gemacht und mir gezeigt, daß dieses Orchester ein großes Potential hat. Wir werden sicherlich auch gemeinsam Plattenaufnahmen machen.

Wie sieht Ihr Konzept für die philharmonischen Konzerte aus?

Die philharmonische Saison soll ein Gesicht bekommen. Man soll das Programm in den Händen haben und sagen können: Aha! Ich habe gerade eine Zusage von einem Dirigenten bekommen, der ein bestimmtes Stück an einem bestimmten Tag dirigiert. Das ist ein Glücksfall. Denn ich finde es wichtig, daß man ein „Sommerstück“ nicht im Winter spielt. Ich möchte zum Beispiel unbedingt Olivier Messiaens letztes Orchesterwerk „Éclairs sur L'Au – Delá...“ spielen. Das kann ich nicht im Februar machen. Es geht da ums Jenseits, um spirituelle Dinge. Das muß um Pfingsten herum gespielt werden.

Die Saison wird immer ein oder zwei Themen haben, die in neuen Kombinationen auftauchen werden. So eine thematisch durchdachte Spielzeit ist wie eine Reise, zum Beispiel durch die französische Musik. Mir ist ein roter Faden wichtiger als zwei oder drei Uraufführungen in einer Spielzeit. Dieses Programmieren ist eine Art von Komponieren.

Ich möchte auch zu allen Konzerten, die ich dirigieren werde, eine Einführung geben. Mein vorrangiges Ziel dabei ist, den Zuhörer zu verführen, nicht zu belehren. In Brüssel habe ich den Fierrabras von Franz Schubert dirigiert. Dazu habe ich mir überlegt: Man kann ja nicht in einer Stunde die ganze Oper erklären. So habe ich eine Stunde über die Kunst der Modulation bei Schubert geredet. Die Leute waren unglaublich dankbar. Es ist eine gute Idee, sich auf einen Punkt zu konzentrieren, der auch für mich als Ausführenden sehr wichtig ist. So will ich das auch in Hamburg machen.

Werden Sie sich auch Brahms widmen?

Brahms ist in Hamburg so wichtig wie Mozart in Wien. 1997 ist der 100. Todestag von Johannes Brahms, da werde ich bestimmt ein Brahmskonzert dirigieren. Ich habe da zwei Ideen: Entweder kombiniere ich ein berühmtes Brahms-Stück mit einem gegensätzlichen Werk der Moderne, oder ich werde den unbekannten Brahms zeigen.

Hätten Sie auch Lust am Komponieren?

Ich würde liebend gerne komponieren. Komponieren ist eine der tollsten Sachen, die man überhaupt machen kann. Doch wenn ich mir das so vorstelle, vor einem leeren Blatt zu sitzen – da gehen die inneren Kämpfe schon los. Das war immer so. Mozart hatte seine Regeln. Doch heute gibt es diese Regeln in dem alten Sinne nicht mehr. Ich glaube aber trotzdem, daß es universelle Regeln für das Musikschreiben gibt, die auch in der zeitgenössischen Musik gültig sind. Bestimmte Musik funktioniert einfach nicht, die fällt auseinander wie ein Schrank, der falsch zusammengebaut worden ist.