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Dezenz mit solidem Service

■ In der ABC-Straße exerziert das Doorman-House eine mögliche Innenstadt-Zukunft vor. Neuer Trend für City-Immobilien? Von Florian Marten (Text) und Henning Scholz (Fotos)

Reich geputzte Livreen an Portal und Autotür, schwerbewaffnete Wachkräfte, mehrstufige Sicherheitsbarrieren – Apartmenthäuser in den besten City-Lagen der US-Metropolen vermitteln das Flair von Macht, Reichtum und Angst.

Gauloise-Qualm, ständig schlechte Laune, ewig offene Ohren, aber höchste Funktionalität – die klassische Concierge in den Stadthäusern der inneren Pariser Arrondissements lockt mit dem rauhen Charme einer althergebrachten sozialen Urbanität.

Nicht nur Hamburgs Oberbaudirektor Egbert Kossak träumt davon, die Hansestadt könne sich eine Scheibe von den echten Metropolen dieser Welt abschneiden. Durch eine kluge Stadtentwicklung, die Wohnen und Arbeiten mischt und dichteres Bauen fördert, könnte sich Hamburg, so hoffen Stadtfreaks, Stück für Stück ein bißchen Mehr an metropolitaner Urbanität erschleichen.

Das „Doorman-House“, eines dieser Stückchen, Pilotprojekt von Investoren und Stadtplanung gleichermaßen, existiert seit gut zweieinhalb Jahren in der ABC-Straße. Viel Aufhebens wird nicht darum gemacht. Die Investoren und ihre kaufkräftigen Mieter schätzen Diskretion.

Klinkerstreifen in Grau und gelblichem Weiß, schmale Drehtüren in pastellgetöntem Türkis, ein schwarzer, geschwungener Tresen, dahinter eine junge Hostess? Stewardess? Politesse? – das Doorman-House in Hamburgs ABC-Straße verkauft die Dienstleistung „Wohnen in der City“ in einer noch ungewohnten Verpackung. Das Konzept: 74 Hochpreis-Mietwohnungen mit Round-the-clock-service, dazu Büroraum und Ladenpassagen. Ein Experiment ist zu besichtigen, noch ohne deutsches Vorbild oder Nachahmer, aber mitten aus den Sonntagsreden der Stadtplaner: Nutzungsmischung im Herzen der Metropole, die Renaissance innerstädtischen Wohnens.

Hier, gerade mal eine Handvoll Steinwürfe entfernt vom noblen Jungfernstieg, von Congress-Centrum, Gänsemarkt und Rathaus, lebte vor etwas mehr als hundert Jahren noch Hamburgs Unterschicht. Das „Gänge-Viertel“, in seinen besseren Teilen von städtischem Handwerk geprägt, galt als Inbegriff städtischen Wohnelends. Lichtlos und unter unfaßbaren hygienischen Zuständen hauste das innerstädtische Proletariat auf engstem Raum. Die Tradition dieser Sozial-Topographie haben auch die Aufräum-Versuche des 19. Jahrhunderts und die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs nicht ganz auslöschen können. Baulücken, Verfall, ein großes städtisches Sozialamt und eine regungslose Stadtplanung ließen das Quartier zwischen Gänsemarkt, Musikhalle und Springerverlag auch in der Nachkriegszeit lange als einen etwas unaufgeräumten Hinterhof der inneren Hamburger City erscheinen.

Diese Historie erklärt, warum die Stadt bereits Ende der 70er Jahre, als sie sich endlich entschlossen hatte, dem Viertel doch etwas städtebauliche Aufmerksamkeit zu widmen, einen Wettbewerb ausschrieb, der Sozialwohnungen, Büros, Läden und ein Hotel verlangte. Ziel: „Eine Belebung des gesamten Quartiers.“ Nicht nur das allgemeine Siechtum des sozialen Wohnungsbaus in den 80er Jahren verhinderte, daß die Sozialwohnungspläne der Wettbewerbsgewinner aus dem traditionsreichen Hamburger Architektenbüro Schramm, v. Bassewitz, Hupertz & Partner gebaute Realität wurden. Den potentiellen Bauträgern war die Vorstellung noch zu „gewagt“.

In bewährt hanseatischem „step by step“ verwandelten Bautrupps, Kräne, Klinker und Beton das leicht angeschmuddelte Quartier in eine zunehmend noble Ecke, ein Trend, den bald die Eröffnung des Marriott-Hotel-Komplexes krönte. Die Vorgabe „Wohnungsbau“ jedoch blieb derweil an dem städtischen Grundstück ABC-Straße 44 haften.

Dem skandinavischen Bau- und Immobilienkonzern Skanska blieb es vorbehalten, den angemessenen kalkulatorischen Dreh für dieses Grundstück zu finden. Entscheidend dabei war, daß die Stadt ihre Grundstücksofferte mit einer Aufstockung der Geschoßflächenzahl und der Genehmigung eines Bürotrakts versüßte. Kurz: Die Pflicht zum Wohnungsbau war für die Skanska lediglich Teil einer Mischkalkulation, die auf rentierliche Büro-Vermarktung setzt.

Der Bauantrag wurde 1989 gestellt – seit Herbst 1992 kann das Ergebnis der Kombination von Skanska-Geld, Skanska-Konzept und architektonischer Leistung bewundert werden: Ohne Rückgriff auf sein altes Sozialwohnungskonzept entwickelte Architekt Heiner Limbrock italienische Leichtigkeit in „hanseatisch unterkühlter“ Form, wie Projektmanager Klaus Bastian (Skanska) anerkennend betont. Elegant und kaum massiv sind 74 Wohnungen mit 6400 Quadratmetern Fläche, eine Tiefgarage mit 126 Stellplätzen, 4000 Quadratmeter Büro- und 911 Quadratmeter Ladenfläche übereinandergetürmt. Die streng gegliederte Bürofassade, ein Wall gegen die Häßlichkeit des Staatsarchiv-Gegenübers, schirmt das große, in der Höhe treppig gestufte „J“ des Wohnkomplexes und seinen südliche Idylle verheißenden Innenhof mit akkurat gestutzten Platanen ab.

Heute kann eine erste Zwischenbilanz gezogen werden für das Experiment eines neuen „bourgeoisen Wohnungsbaus, orientiert an gründerzeitlichen Wohnformen“, „geölt, nicht lackiert“ wie Architekt Limbrock meint, der seinem Werk noch ein wenig mehr „Patina“ wünscht. Ein Wunsch, der sich auch dem neugierigen Besucher schnell aufdrängt. Der Komplex strahlt noch keine Vitalität, keine neue städtische Funktionalität aus. Besonders sichtbar wird dies im Innenhof, bemüht „ABC-Forum“ getauft: „Die Läden“, so Manager Bastian, „sind ein Fremdkörper“, ihre Vermietung gestaltet sich trotz großer Mietabschläge schwierig. Stadtflaneure haben diesen neuen Platz mit seinem leicht künstlichen Ambiente noch nicht angenommen.

Nach einer „zögerlichen Aufnahme“ durch die angestrebte Zielgruppe sieht sich die Skanska mittlerweile zumindest wirtschaftlich im Plan. Die Büros im Vordertrakt sind rentierlich ausgelastet, die Wohnungen, kleinere Abschläge inklusive, inzwischen in ausreichender Zahl vermietet. Die von Stadtplanern erträumte neue Kombination von Wohnen und Arbeiten hat sich jedoch nicht eingestellt. Die Wohnungen sind, bei Mietpreisen von um die 40 Mark pro Quadratmeter, für Angestellte, „normale Mitarbeiter“, schlicht zu teuer. So gönnen sich Geschäftsleute, auf Anonymität bedachte Prominenz, eine Rentnerin und sogar eine Familie mit Kindern das besondere Vergnügen.

Dezente Sicherheit mit sozialer Kontrolle und solidem Service im Mittelpunkt: Ein fünfköpfiges Team mit Hotelfach-Ausbildung ersetzt im Drei-Schicht-Betrieb die Türklingel-Batterie, verteilt Post, meldet Besucher an, organisiert Pizza-Service, Opernkarten und Flugtickets. Videokameras spähen die Tiefgarage aus. Pistolenhalfter, und Panzerglas sucht man vergebens. Anonymität und Zurückhaltung ersetzen die Demonstration hochgerüsteter Selbstwehr.

Dieses Prinzip beherrscht auch Architektur und Inneneinrichtung. Zum Bedauern mancher Mieter fehlen vergoldete Türgriffe, Kamin, Glitzer und Glamour. Die Architekten legten statt dessen Wert auf eine „durable Konstruktion“.

Das Doorman-House – ein Modell für Deutschlands Metropolen? Skanska überlegt, in Berlin ein erstes Nachfolgeprojekt zu realisieren. Der Service, derzeit mit fünf Mark pro Quadratmeter mietpreistreibend, soll dabei leicht zurückgenommen, dafür das Verhältnis von Büros zu Wohnungen „optimiert“ werden. Bewährt hat sich die Dezenz. Sollen die Ziele von ÖkologInnen und StadtplanerInnen jedoch Wirklichkeit werden, ist eine genaue Anpassung an das städtische Umfeld erforderlich, die verhindert, daß der städtische Organismus die Projekte abstößt. Geschehen könnte dies zum Beispiel durch eine präzisere Vernetzung der Nutzung, wie etwa durch die Kombination preiswerter „Werks“wohnungen mit Bürokomplexen. Dann könnte gelingen, was beim künstlichen Investorenimplantat „Doorman-House“ noch fehlschlug: Die (Wieder-)Aneigung der Innenstädte als Lebens- und Wohnraum.

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