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Gleichzeitigkeit der Bewegungen

■ Richtungswechsel jederzeit möglich: Berliner Choreographinnen im Pfefferberg

Selbst zum Programm unbekannter Choreographinnen drängt das Publikum in den Pfefferberg, erklimmt mit der Leiter gar Plätze auf einem Vorbau. Für 15 Mark wird die Kunst wieder zum Abenteuer. Nicht Perfektion ist gefragt, sondern die Suche nach Anstößen, den Körper aus vorgezeichneten Bahnen zu werfen.

Mit offenen Strukturen, jederzeit möglichen Richtungswechseln und unregelmäßig verschobenen Rhythmen umzugehen gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Choreographie. Ohne sich mit Symbolismen Bedeutung zu sichern oder mit Requisiten einen erzählerischen Rahmen zu stekken, wagten alle vier eingeladenen Künstlerinnen, ganz dem Tanzvokabular zu vertrauen. In kurzen Stücken für vier und fünf Tänzerinnen gelangen Claudia Lehmann (Tanz Tangente), Xenia Leydel und Lisa Witzke von der Tanzschule „Die Etage“ differenzierte Partituren, die mühelos mit der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Bewegungsabläufe, dem Verschränken von langen und kurzen Bewegungsradien zurechtkamen.

Bildhaft arbeitete Claudia Lehmann, deren Tänzerinnen sich auf parallelen Bahnen in unterschiedlichen Zeiträumen zu befinden schienen. „Angerissen“ von Leydel überzeugte durch das leichte Hineinspringen in energiegeladene Bilder und ihre beiläufige Auflösung. Wie aus Zufall entstanden Verdichtungen in den Begegnungen der Tänzerinnen, die sich dann mit der Selbstverständlichkeit wieder entwirrten, mit der Fische im Aquarium auseinandertreiben. Von Lisa Witzke kam das witzigste Stück. Sein Tempo überforderte allerdings die Tänzerinnen, die sich zu angestrengt um schlaksige Lockerheit mühten. Der Abend endete zur Schlagzeugmusik von Stefan Ritschl mit einer Performance von Kathinka Lühr, die ihre Bewegungseinfälle etwas konzeptionslos aneinanderreihte.

Meine anfänglichen Zweifel am Sinn eines weiteren Tanzprogramms für den Berliner Nachwuchs nahm mir spätestens ein Besuch im Tanztheater von Johann Kresnik (Volksbühne), der sich mit ein paar armseligen Bewegungsstereotypen noch immer den Ruf eines modernen Choreographen erhalten kann. Sensibilität für die Sprache der Körper haben ihm die Amateure vom Pfefferberg allemal voraus. Doch das Gruppenprogramm ließ auch, noch immer und wieder, die Unzulänglichkeit der Ausbildung in modernem Tanz an Schulen sehen, die von Laien leben müssen und in ihren Kursen für Fortgeschrittene selten professionelles Niveau erreichen. Daran hat sich seit Jahren in Berlin wenig geändert. Katrin Bettina Müller

Achtung, Programmänderung: 18. und 19.1. Gastspiel der AZet Dance Company, jeweils 20.30 Uhr, Schönhauser Allee 176

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