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Alles über Auswurf

■ "Tabu" stellt delikate Rituale des Alltags vor und widmet die erste Folge dem "Spucken & Rotzen" (So., 0 Uhr, RTL)

„Ich sammel die Spucke im Mund und spiel dann im Mund so'n bißchen rum mit der Spucke. Und dann will ich die Spucke nicht mehr und spuck sie aus“ – Punkt. Für das kleine Mädchen vor dem Lama- Gehege scheint damit schon alles gesagt zum Thema „Spucke“.

Doch was ist mit den Mückenstichen? Was mit der Kulturgeschichte, der Alltagskultur-, Sozial-, Medizingeschichte des von den Speicheldrüsen gebildeten und in die Mundhöhle abgegebenen, mal wäßrig, mal schleimigen, farb-, geruch- und geschmacklosen, viskosen Körpersaftes, von dem wir täglich ein bis anderthalb Liter schlucken? Und was hat ausgerechnet das Jahr 1882 mit Spucke zu tun? Ja, und so ein Sputumpräparat; wie wird das eigentlich hergestellt und zu welchem Zweck? Was unterscheidet grünlich-gelben Auswurf von weißlichem? Wieviel wiegt ein Papiertaschentuch und wer hat's erfunden? Wo kostet einmal öffentlich Spucken 1.000 Dollar Strafe? Und kann Oberbürgermeister Xu Kuang Di erklären, wieso? Warum überhaupt spuckt der Mensch und seit wann nicht mehr? Oder wird etwa doch noch gespuckt? Von wem? Aus welcher Veranlassung heraus? Ist es „normal, wenn man einen Ekel hat“? Wer erinnerte sich nicht mit körperlichem Unbehagen an die mütterliche Unsitte, uns mit dem speichelfeuchten Taschentuch das verschmierte Mündchen abzuwischen? Warum redet man nicht über Spucke; und warum reden die befragten Passanten und Zoobesucher dann doch – und sichtlich gern obendrein? Und fällt einem überhaupt irgend etwas ein, zum Thema „Spucken & Rotzen“, was in dem gleichnamigen Kanal4-Feature nicht vorkäme?

Was die vier Autoren da als Auftakt ihrer „Tabu“-Reihe über „delikate Rituale des Alltags“ aus Interviewschnipseln, animierten Gemälden, medizinischen und ethnologischen Dokumentatiönchen, Spiel- und Spielfilmszenen, originellen Bild-Ton-Collagen und minutenlangen, geradezu lyrischen Zeitlupenstudien zusammengetragen und -montiert haben, ist ein formgewordenes Brainstorming, für das kurzweilig eine ungerechtfertigte Untertreibung wäre (und die hingerotzte Vorankündigung in den gestrigen taz-„Leibesübungen“ schlicht nicht ausreichend).

Außerdem wird in den dreißig Minuten ganze siebzigmal ausgespien. Das 59. Mal (ein minimalistischer 60 Sekunden-Clip mit Mann und Hund ...) sei an dieser Stelle ganz besonders empfohlen, auch wenn einem beim Zusehen der eigene Speichel schon ganz fremd wird im Mund. Christoph Schultheis

Weitere „Tabu“-Folgen und -Themen: „Knicks & Diener“, 16.2.; „So 'ne Scheiße“, 16.3.; „Blut & Blutung“, 20.4.

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