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Mätzchen helfen nicht

■ betr.: „Eiskalt vertan“ (Ökolumne), taz vom 11. 1. 97

[...] Die Lage ist nicht „trotz privatisierter Bahn-AG“, sondern wegen der Privatisierung schlechter geworden.

Wer wegen der gegenwärtigen Modeerscheinungen wie Monetarismus, Thatcherismus, Etikettenschwindel, lean production, outsourcing, Computerwahn usw. meint, eine Struktur zertrümmern zu müssen, die wie kein anderer Betrieb förmlich davon lebt, auf allen Ebenen vernetzt zu sein, dem helfen auch neue Uniformen, blaue und rote Pappkameraden auf den Bahnsteigen, der Fahrplan auf CD-Rom und ähnliche Mätzchen überhaupt nichts.

Ein Beispiel: Während früher zur Verstärkung eines überfüllten Zuges mittels eines einzigen Anrufes auf dem Abstellbahnhof ohne größere Probleme einige Wagen beigestellt werden konnten, muß jetzt der „Geschäftsbereich Nahverkehr, Niederlassung Hamburg, Regionalbereich Hamburg“ beim „Geschäftsbereich Traktion“ eine Rangierlokomotive bestellen, was nicht nur organisatorisch umgeheuer kompliziert ist, sondern vom einen Geschäftsbereich dem anderen auch noch berechnet wird. Eine Verbesserung des aktuellen Service bedeutet also für den „Besteller“ sofort nachhaltig wachsende Kosten – ein hervorragendes Motiv, auf organisatorische Mängel im Sinne einer Schadensbegrenzung aktuell zu reagieren. Aber das „profit center“ Nahverkehr würde durch guten Service weniger Profit machen. Also sind die Züge schmutzig (outgesourcte „Bahnreinigungsgesellschaft“). Verspätungen werden nicht begründet (hier wäre es erforderlich, daß der Geschäftsbereich Fernverkehr den Geschäftsbereich Bahnhöfe rechtzeitig informiert!).

Kein Wunder, daß die Eisenbahner sich in diesem Wirrwarr aus überflüssigen Komplikationen, Raffgier, Stellenabbau, Überstunden nicht mehr wohlfühlen. Das „Wir“-Gefühl der Eisenbahner mit hohem Verantwortungsbewußtsein ist einem Zynismus gewichen, der Verspätungen als zwangsläufig und „normal“ ansieht, zumal auch die innerbetriebliche Kommunikation (pardon: Kommunikation zwischen den in Kürze noch selbständigeren Geschäftsbereichen) schlicht nicht stattfindet.

Nein, wir wollen hier nicht der alten Behördenbahn das Wort reden. Eine Straffung der Organisation, eine Änderung der beamtenrechtlichen Strukturen, die Einsparung der mittleren Verwaltungsebenen und so weiter wäre auch ohne Privatisierung und ohne Zerstörung des einheitlichen Unternehmens möglich gewesen.

Wir stehen erst am Beginn des Privatisierungsunfugs: In den USA, wo die Bahn schon immer privat war, ist sie, von Ausnahmen an der Ostküste abgesehen, kaum noch vorhanden. Statt dessen fliegen die armen Amerikaner regelmäßig und im Massenumfang über Distanzen von wenigen 100 Kilometer umher und zerstören die Ozonschicht – oder sie schleichen auf den Highways mit 70 Stundenkilometer hintereinander her. Wir freuen uns schon darauf, statt von Hamburg nach Hannover zu fahren – von Fuhlsbüttel nach Langenhagen zu fliegen, natürlich mit dem dreifachen Zeitaufwand und zum fünffachen Preis. J. H. Pietschmann, Hamburg

[...] Daß ein technisch komplexes System – wie die Bahn mit Fahrzeugen, Schienen, Weichen, Oberleitungen, Zugsicherung usw. –, das für mitteleuropäische Temperaturen ausgelegt ist und zudem vollständig der Witterung ausgesetzt ist, bei minus 20 Grad schlechter funktioniert als zum Beispiel bei null Grad, sollte auf der Hand liegen. Damit sind Verspätungen oder gar Zugausfälle wahrscheinlich – egal wie viele Not- oder Reparatur?? [leider unleserlich. d. sin] vorgeschaltet werden. Trotz der (wahrscheinlichen) Unpünktlichkeit bei extremen Wetterlagen und der vorhandenen latenten Unpünktlichkeit bei Überlastungen beziehungsweise aufgrund zu alter Züge und Waggons (ein Drittel der E-Loks der Bahn ist älter als 30 Jahre – kann sich irgendjemand noch an die Autos von vor 30 Jahren erinnern?), ist die Bahn meines Erachtens immer noch zuverlässiger, als eine Reise mit dem Pkw. Vor einem Jahr habe ich zum Beispiel von Berlin nach Hamburg zwölf Stunden per Pkw benötigt (Eisregen) – nur dieses hat nicht in der Zeitung gestanden.

Als ein weiterer Vorteil der Bahn gilt übrigens ihre Sicherheit – trotz der Anspielungen von Herrn Klingelschmitt. Hat sich Herr Klingelschmidt zum Beispiel mal überlegt, wie viele Personen in den letzten Tagen in und um Frankfurt im Straßenverkehr zu Schaden gekommen sind? Und diese Zahl mit den zu Schaden gekommenen verglichen, die – trotz brennender S-Bahnen – öffentliche Verkehrsmittel genutzt haben?

Zum Abschluß noch eine Anmerkung dazu, Bahn und RMV hätten trotz guter Chancen zahlreiche Umsteigewillige (böswillig) verprellt. Wer Bahnfahren zu Spitzenzeiten (zum Beispiel um Weihnachten) beziehungsweise den ÖPNV nur im Winter kennt, ist naturgemäß schwierig von den Vorteilen zu überzeugen. Das wäre dasselbe, als wollte man in Großstädten nur dann Autofahren, wenn der öffentliche Nahverkehr streikt. Sicherlich gibt es am öffentlichen Verkehr einiges zu kritisieren – aber bitte konstruktiv. Ansonsten wird man den Verdacht nicht los, daß ein Umsteigen gar nicht gewollt ist, sondern nur eine Begründung gesucht wird, warum man selbst Auto fährt. Jens Niwtroj, Rotenburg

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