: „Da könn' se mir sonstwas bieten“
Im brandenburgischen Trechwitz soll Kies abgebaggert werden. Doch für einen Krater gibt keiner sein Land her ■ Von Jens Rübsam
Alle sind dagegen. Der Bading Karl, die Liebold Gisela, der Schulze Otto, der Große Alfred, der Franke Georg, die Pubantz Waltraud und auch die Wolter Silke. Alle in Trechwitz sind gegen die Kiesgrube, die einer ausheben will, gleich hinter der Kirche. Einer von drüben.
Der alte Mann auf dem Feld hinter der Kirche ist Badings Karl und einer, der nichts anderes kennt als sein kleines Trechwitz mitten im Brandenburgischen. Da ist er geboren worden vor 78 Jahren, da ist er geblieben, da kennt er jeden, „ist ja alles irgendwie Verwandtschaft hier“, und da hat er sich was geschaffen. Ein Häuschen gebaut und das Feld bestellt. Jahr für Jahr.
Badings Karl ist alt geworden. Mit ihm die beige Cordhose, abgewetzt, die blaue Wattejacke, zerfranst, und die braune Mütze, speckig. Das Gesicht ist runzlig, die Hände sind es ebenso. Er spuckt beim Sprechen. Aber er spricht ja nicht viel. Er hat zu tun. Jeden Morgen, so nach acht, auf dem Feld seines Sohnes nach dem Rechten schauen. „Der Junge hat keine Ahnung von der Landwirtschaft.“ Die Jugend halt.
Wogegen Karl Bading ist? „Das kann ich Ihnen zeigen.“ Die Hand holt aus zu einem Rundflug über Weideland, Gärten und Gewächshäuser, über Betonstraße, Garagen und kleine Wälder, hinüber zu den Häusern von Damsdorf und wieder zurück nach Trechwitz. An der Knobelsdorff-Kirche hält er inne. „Das sind 300 Hektar. Hier will ein gewisser Herr Knoche Kies abbaggern.“ Ein Hektar gehört Karl Bading.
Und der denkt nicht daran, seinen Boden zu verkaufen. „Da könn' se mir sonstwas bieten, ich scheiß' auf die 1.000 Mark. Auch wenn das Geld noch so juckt.“ Und überhaupt: „Wenn se mir drohen mit irgendwas, geh' ich zur Silke, die wird das schon richten.“ Karl Bading hat zu tun. Er nimmt die Forke, sticht in den gefrorenen Boden. Warum, das weiß er wohl selbst nicht so genau. Die Liebolden, sagt er noch, die sieht das mit dem Kies genauso.
Gisela Liebold sieht das genauso. „Warum kommt der Herr aus dem Münsterland ausgerechnet nach Trechwitz und will hier Kies abbauen?“ Keiner weiß es so genau. Jeder im Dorf hat nur seine Vermutungen. Gute Beziehungen zum Oberbergamt in Cottbus heißt eine. Eine andere: Rainer Knoche, dem Geschäftsführer der Bausand Knoche GmbH, seien alte Unterlagen zugespielt worden. Schon einmal, 1956, wurde in Trechwitz nach Kies gebohrt. Als sich herausstellte, der Kies ist salzhaltig, ließ man das Vorhaben fallen.
Das Mittagessen kann warten. Gisela Liebold hat sich eingerichtet auf der Couch in der guten Stube, neben Puppen, Plüschtieren und hübsch bestickten Kissen. Eine lila Kittelschürze trägt sie und einen zarten Oberlippenbart. Die Liebolden ist 63.
1807 ist ihr Haus an der Hauptstraße 5 gebaut worden. Es ist das älteste im Dorf. „Klar denkt man daran, daß das Haus auf einmal zusammenbrechen könnte“, sagt Gisela Liebold. Wenn erst die vielen Laster hier langdonnern, um den Kies abzufahren! Die Bürgerinitiative „Gegen den Kiesabbau“ hat ausgerechnet: Bei 1.000 Tonnen Kies pro Tag seien 300 mal zwei Schwerlastfahrten zu erwarten.
„Nicht vorstellbar“, sagt Gisela Liebold und schaut demonstrativ zum Fenster hinaus. Die Knobelsdorff-Kirche sieht sie, die ausgedehnten Felder, auch ihre eigenen drei Hektar. Und vor allem „eine schöne Landschaft“. Flache Äcker, dünner Schnee. Trechwitz ist eines dieser brandenburgischen Straßendörfer, die man kennen muß, um sie schön zu finden. „Keine Einbrüche. Keine Klauereien.“ Die Liebolden beklagt sich nicht. Auch wenn es keine Kneipe und keinen Bäcker mehr gibt. Der Konsum bangt ums Überleben, und die Agrargenossenschaft zählt noch 18 Beschäftigte. Früher waren es 70.
Und jetzt hat man ihr 20 Pfennig pro Quadratmeter geboten. Plus 100 Mark, wenn sie auf ihrem Land Probebohrungen zuläßt. Beides kommt für Gisela Liebold nicht in Frage. Das Land hat sie verpachtet, auf länger, und bei 20 Pfennig komme ja „nüscht zusammen“. Für Bohrungen ist sie schon gar nicht. „Wenn denen erst mal der kleine Finger gereicht wird“. Die Natur hätte unter dem Kiesabbau zu leiden und die Straße vorm Haus. „Die wird doch gerade neugemacht.“ Die Liebolden sagt noch: „Ich bin auf alle Fälle dagegen“ und empfiehlt, den Schulze Otto zu befragen. Dem gehöre auch ein Stück Land.
„Das ganze Dorf ist dagegen.“ Otto Schulze ist 68, und er ist das Dorf. Im geplanten Kiesabbaugebiet gehören ihm zweieinhalb Hektar, 500 Meter schräg hinter der Kirche. Verkaufen? „Nee, was das für Auswirkungen hätte“. Die vielen Lkws im Dorf, kaputte Straßen, eine zerstörte Natur. Nach der Wende wurde das nahgelegene Naturschutzgebiet „Rietzer See“ der Europäischen Union als Vogelschutzgebiet gemeldet. Schwarzhals- und Zwergtaucher, Schilfrohrsänger und Bartmeisen haben sich eingenistet, insgesamt 180 Vogelarten. Die geplante Ausbaggerung würde bis etwa 200 Meter an das Naturschutzgebiet heranreichen. „Nee“, sagt Otto Schulze, „das geht nicht.“ Man müsse ja an die Enkel denken.
Alfred Große hat seinen Enkel am Mittagstisch sitzen. Kartoffeln und Soße gibt es. Mehr heute nicht. Man ist genügsam, wie man in Trechwitz immer genügsam war. Die Leute haben von der Landwirtschaft gelebt, Kartoffeln und Getreide angebaut, nicht in großen Mengen, der Boden sei halt nur Durchschnittsklasse. „Aber“, sagt Alfred Große, „der Kies da drin ist doch gar nicht zu gebrauchen.“ Er muß es wissen. 1956 war Alfred Große Landwirt, hatte prächtige Pferde und einen Auftrag vom Staat bekommen. Er sollte Bohrzeug fahren. Jenes Bohrzeug, mit dem die Behörden alle paar hundert Meter nach Kies gesucht haben. Er hat es gefahren. Er war ja selbständig und froh über jeden Pfennig. Und er hat mitgekriegt, wie „die vom Staat“ damals festgestellt haben, daß der Kies salzhaltig sei. Nicht verwendbar zum Bauen.
Aus dem Kiesabbau wurde damals nichts wie auch aus dem Betonwerk, das schon geplant war. Warum jetzt wieder in Trechwitz nach Kies gesucht werde? Alfred Große zuckt mit den Schultern. „Die alten Unterlagen müßten denen doch bekannt sein.“ Wer weiß. „Ich bin jedenfalls dagegen.“
Wie auch Georg Franke dagegen ist. 1950 ist er in die Siedlung- Trechwitz gezogen, hat mitangeschaut, wie das plattgemachte Wäldchen gegenüber langsam nachwuchs. Für seine Autobahnen hatte Hitler Sand in Trechwitz abbaggern lassen. Eine 30 Hektar große Grube entstand. „Nun soll das Wäldchen ein zweites Mal vernichtet werden?“
Mit dem Boden in seinem Garten ist Georg Franke nie so richtig glücklich geworden. Die erste Schicht sei Mutterboden, der Rest sei sandig. „Als mein Sohn gebaut hat, konnte er den Sand zum Mauern direkt aus dem Garten nehmen.“ Erst im Laufe der Jahre haben Frankes Bohnen, Kohl und Möhren ernten können. „Wir haben jedes Jahr ein paar Hänger Kompost draufgeschüttet.“
Von Dörfern, die der Braunkohle weichen müssen, hat Georg Franke schon oft gehört. Daß man nun selbst betroffen sei, „hätte ich nie gedacht“. Naja, die Bürgerinitiative kämpfe ja dagegen.
Waltraud Pubantz macht ein ernstes Gesicht. Nicht der Kiesabbau bereite ihr die größten Sorgen, vielmehr die Frage: Wie geht's weiter mit der Agrargenossenschaft? Gut sieht es nicht aus. Die Auswirkungen von BSE haben sich bis in den Landkreis Potsdam-Mittelmark geschlichen. 530 Rinder hat Waltraud Pubantz in den Ställen stehen, dazu noch eine Schar Kälber. Was, wenn die Preise noch weiter fallen? Darüber nachdenken mag sie nicht und darüber sprechen eigentlich auch nicht. Zu viele Gerüchte ziehen übers Land. Es heißt, die Agrargenossenschaft macht dicht.
Gegen den Kiesabbau? „Auf jeden Fall“. Das möchte Waltraud Pubantz notiert wissen. Und auch, daß die Agrargenossenschaft ein Konzept zum Überleben habe. Darin seien die 300 gepachteten Hektar in Trechwitz als Weideland fest eingeplant. Von der Natur redet sie noch kurz und von den Straßen im Dorf. Waltraud Pubantz ist Trechwitzerin und dagegen.
Die Silke ist auch dagegen, na klar, aber sie sagt es anders. Im Schleudertempo mit Begriffen wie Einigungsvertrag, Erlaubnisfeld, Bewilligungsurkunde, Betriebsplan, Baggergutverbringungsgesetz, Umweltverträglichkeitsprüfung, Raumordnungsverfahren, Grundwasserproblematik und Bürgerinitiative – bis der Raum zugeklatscht ist mit Behördenvokabular und sie einen Kaffee braucht. Silke Wolter hat noch jeden davon überzeugt, daß der Kiesabbau der Gemeinde schadet.
Der „Kampf dagegen“ hat einen Namen. Silke Wolter, 31, Versicherungskauffrau, Gemeindevertreterin seit 1990 und seit September 1995 Vorsitzende der Bürgerinitiative „Gegen den Kiesabbau e. V.“. Im Trechwitzer Dorfdeutsch heißt sie „die Silke“ und immer wieder hört man: „Die Silke wird's schon richten, die Silke wird's schon machen.“
Silke Wolter und ihre Bürgerinitiative versuchen es. Mit Einwohnerversammlungen, Einsprüchen, Protesten, Kiesforum und mit Hilfe der Medien. Der ORB war vor Ort und auch Investor Knoche. Seinen Verzicht auf den Trechwitzer Mühlenberg hat der Münsterländer vor laufender Kamera erklärt. Kein Kiesabbau auf dieser Fläche, ein Teilerfolg. An den 300 Hektar zwischen Trechwitz und Damsdorf hält er dagegen fest. Sein Betriebsplan ist mit Auflagen genehmigt worden. Seitdem buhlt er um die Zustimmung der Eigentümer, der Agrargenossenschaft als Nutzer der Fläche und um die des Landesumweltamtes. Bisher vergeblich.
Silke Wolter hat einen kleinen Spielzeug-Bagger auf dem Tisch stehen. Ein Geburtstagsgeschenk von irgendjemanden aus der Bürgerinitiative. „Das ist ja das Schöne. Es sind durch die BI richtige Freundschaften entstanden.“ 41 Leute treffen sich jeden zweiten Montag, „ruhende Mitglieder gibt es mehr“. Alle sind dagegen, aber nicht alle machen mit. „Was soll's“, sagt Silke Wolter. „Wir sind weit gekommen, und wir werden weiter gegen den Kiesabbau kämpfen.“ Zumal sie vor kurzem von einem weiteren Skandal Wind bekommen hat. „Uns liegen Informationen vor, daß das beim Havelausbau anfallende Baggergut in Trechwitz abgelagert werden soll.“ In eben jener ausgebaggerten Kiesgrube, gleich hinter der Knobelsdorff-Kirche.
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