Europa vom Osten her aufrollen

■ Der koreanische Daewoo-Konzern baut Fabriken in Polen. Die Stundenlöhne kosten dort nur die Hälfte wie im Tigerstaat

Warschau (taz) – Über eine Million Male kauften die Koreaner das Buch „Die Straßen sind mit Gold gepflastert“. Das reichte für einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. In Polen, wo Bestsellerautor und Großinvestor Kim Woo Choong dem ostasiatischen Tigerimage alle Ehre macht, würde das Buch kaum einen Massenansturm auf die Läden auslösen. Doch das Interesse der Polen an dem Koreaner wächst, seit Kim im Juni 1995 mit 68,8 Prozent in die Autofabrik FSO in Lublin eingestiegen ist.

Dort wird noch der „Polonez“ hergestellt, heute unter dem Namen Daewoo-FSO. Der Mittelklassewagen mit zu weichen Sitzen und zu vielen Macken wird in Polen gern gekauft. Die Ersatzteile sind überall zu haben, und die Mechaniker wissen, wo sie den Schraubenzieher ansetzen müssen. Allerdings soll das Auto, das zu einem Symbol des polnischen Nationalstolzes wurde, nur noch bis 1999 gebaut werden. Dann werden die Modelle Tico, Nexia und Espero in Lublin vom Band rollen. Als Kim Woo Choong, dessen Konterfei in allen Daewoo-Fabrikhallen und Büros auf die Mitarbeiter runterlächelt, bei seinem ersten Besuch in Polen 1995 sagte: „Wir wollen in Polen unsere europäische Produktionsbasis errichten“, nahmen die Polen dies nicht weiter ernst. Doch sie hatten den Selfmademan, der vor 30 Jahren seine erste Firma mit 10.000 Dollar gegründet hatte, gewaltig unterschätzt: Mit dem Wort „Daewooing“ charakterisieren die Polen die gesamte südkoreanische Investitionspolitik in ihrem Land.

Daewoo will in Polen nicht nur jährlich über 500.000 Autos und Lkw fertigen, sondern auch Fernseher, Waschmaschinen und Computermonitore produzieren. Bis Sommer 1996 hatte Daewoo 139,5 Millionen Dollar in Polen investiert und ist damit in der Liste der Auslandsinvestoren auf Platz 13 aufgerückt. Bis zm Jahr 2000 sind 343 Millionen Dollar Investitionen geplant. Kim läßt sogar die Freizeit der Daewoo-Arbeiter organisieren und schickt sie gemeinsam in den Urlaub. In Warschau wurde der Grundstein für das 40stöckige European Business Center Daewoo gelegt. „Der Export entscheidet zu über 60 Prozent über unseren Umsatz“, sagt Suk-Chul Kim, Direktor der Daewoo Electronics Poland. „Deswegen bauen wir Fabriken im Ausland. Die hier produzierten Fernseher gehen nach Westeuropa.“ Der Standort Polen ist günstig: Er bietet 38 Millionen Einwohner und potentielle Konsumenten. Die Arbeiter sind gut ausgebildet und bekommen 50 bis 60 Prozent des koreanischen Lohns. Das haben auch die anderen ostasiatischen Tiger bemerkt.

Auch China, Japan und Singapur sind in Polen aktiv. Wilde Gänse streben mit kräftigem Flügelschlag gen Himmel, sagen die Koreaner. Von Kim Woo Choong sagt man, daß er seit 30 Jahren keinen Urlaub mehr gemacht haben soll. Sein Konterfei im Daewoo- Büro zeigt ihn vor schneebedecktem Gipfel, rot überstrahlt von der aufgehenden Sonne. Dazu lächelt er den polnischen Mitarbeitern aufmunternd zu: „Die Straße ist mit Gold gepflastert.“ Gabriele Lesser