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An der Ladenkasse fliegt der Steuerschwindel auf

■ Wegen der Mehrwertsteuer profitieren Leute mit geringem Einkommen kaum

Franziska S. arbeitet als Sekretärin in einer Hutfabrik. 14.000 Mark bekommt sie dafür im Jahr – und muß 506 Mark ans Finanzamt zahlen. „Das wird anders“, freut sie sich, als sie in der „Tagesschau“ über die geplante Steuerreform hört. Für ihre Einkommensgruppe soll der Grenzsteuersatz von 26,2 auf etwa 20 Prozent gesenkt werden. Das bringt 100 Mark.

Doch inzwischen ist Franziska S. sauer. Denn die zweiprozentige Mehrwertsteuererhöhung scheint so gut wie beschlossen. Sie wird einen Großteil von Franziska S.' Steuerersparnis sofort auffressen. Rund 85 Mark mehr als bisher muß sie für Strümpfe und Glühbirnen einplanen. „0,1 Prozent Steuerersparnis für mich – und dafür so ein Theater“, denkt die Sekretärin verärgert.

Auch die Mathematiklehrerin Rita F. hat schon versucht nachzurechnen, was ihr die große Steuerreform bringt. Doch schnell merkt sie, daß noch zu viele Unbekannte im Spiel sind. Klar ist nur, daß sie für ihr Einkommen von 80.000 Mark künftig den Spitzensteuersatz von vermutlich 39 Prozent zahlen muß; bisher waren es zwei Prozent mehr. 22.000 Mark mußte sie an Theo Waigel abtreten. Doch weil sich die Politiker noch nicht einig sind, ob die Steuersätze wie eine Rutsche oder eine Treppe ansteigen sollen, kann Rita F. noch nicht wissen, wieviel ihr künftig abgezogen wird. Immer wieder hatte Rita F. überlegt, ihren Freund Wilhelm P. zu heiraten. „Dann müßte ich 5.000 Mark weniger zahlen“, so ihr Kalkül. Doch künftig ist vielleicht eine andere Überlegung sinnvoller: „Wilhelm wird mein Dienstjunge. Dafür kann ich bald 18.000 Mark absetzen.“ Das dürfte Rita F.s Steuersatz um etwa fünf Prozent senken.

Ihr Auto hingegen wird sich für Rita F. nicht mehr ganz so gut rechnen wie bisher, weil die Kilometerpauschale gesenkt wird. Doch da hofft Rita F. auf die Automobillobby. Sie hat es schließlich schon geschafft, den angedachten Satz von 20 Pfennig pro Kilometer vom Tisch zu kriegen. Jetzt ist von 40 oder 50 Pfennig die Rede. „Da lohnt sich das Fahren auch künftig“, denkt die Lehrerin.

Eine höhere Mehrwertsteuer aber wird das Haushaltseinkommen von Rita F. in schon absehbarer Höhe von ungefähr 400 Mark im Jahr belasten. In ihrer Einkommensgruppe spielen die steuerermäßigten Produkte wie Lebensmittel und Zeitungen keine so große Rolle mehr wie bei Franziska S. Und auch die abgabenfreie Miete verschlingt nicht einen so großen Anteil des Einkommens wie bei Leuten mit niedrigem Einkommen.

Prozentual am meisten belastet sind diejenigen, die etwa 3.000 Mark im Monat auszugeben haben: Bei ihnen frißt die Mehrwertsteuer schon heute 7,3 Prozent. Der Einkommensmillionär Winfried K. hat vor kurzem schon mal seinen Steuerberater aufgesucht. Offiziell mußte er bisher 507.143 Mark an Theo Waigel abführen. Künftig sollen das rund 130.000 Mark weniger sein, hat er erfahren. Doch das freut den Reichen wenig. Denn tatsächlich hat Winfried K., wie die meisten seiner Millionärskollegen, ja nie den Spitzensteuersatz von 53 Prozent bezahlt. Für Beteiligungen an zwei Containerschiffen und drei Wohnungen im Osten hat er zahlreiche Märker investiert und so sein steuerpflichtiges Einkommen auf 400.000 Mark gesenkt.

So konnte der Finanzminister tatsächlich nur 189.000 Mark von Winfried K. bekommen. Das wird künftig wohl schwieriger, meint der Steuerberater.

„Der ganze Wohnungsbau im Osten wird zusammenbrechen. Arbeitslosigkeit und hohe Mieten werden die Folge sein“, jammert Winfried K., der plötzlich sein soziales Gewissen entdeckt hat. Annette Jensen

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