■ Querspalte: Stimmt auch alles irgendwie
Der Spiegel ist eine prima Zeitung. Vor allem auch, weil er so professionell ist und einem die Welt gut erklärt, damit man sie auch gut verstehen kann.
Da der Spiegel ein Stück Toleranz ist in einer zur Intoleranz tendierenden Welt und auch oft selbstzweifelnd-grübelzwänglerisch, veröffentlichte er in seiner Jubliäumsausgabe einen sehr kritischen Aufsatz von Hans Magnus Enzensberger, der sich 1957 über die Sprache des Nachrichtenmagazins erregt hatte.
Sein Aufsatz ist sehr legendär und findet sich mittlerweile auch in besseren Schullesebüchern. Ärgert sich ja auch jeder mit Abitur darüber, daß der „sich anonym gebende Autor der Spiegel-Story (...) sich für kompetent hält in jedem Falle“ – „vom Rauschgiftkrawall bis zur minoischen Kunst wird alles über einen Leisten geschlagen“ – und daß die Sprache des Spiegel alles „unkenntlich macht, was sie erfaßt“, daß „das Erlernbare schlechthin“ dominiere und daß „der Slang der Saison“ verwendet werde und so weiter.
Stimmt auch alles irgendwie. Lehrreich und lustig ist jedoch anderes.
Zum einen, daß der unerschrockene Enzensberger im gleichen Text den Spiegel-Herausgeber lobt wie nichts Gutes („beste Leistungen der deutschen Publizistik dieser Jahre“), zum anderen, daß er die Spiegel-Sprache in einem Text entlarven wollte, der die Lebensgeschichte Goethes im Spiegel-Jargon nacherzählt. In diesem Text ist Goethe „ein eher gefühlig veranlagter Anfänger“, der irgendwann auf die Idee verfiel, „sich als Sensationsschriftsteller zu versuchen, wobei er rasch einen beachtlichen Riecher entwickelte. Bereits der erste, keß hingehauene und sentimental verbrämte Skandalroman schockierte das internationale Publikum.“ Und so weiter.
Kurz, ein wunderbares Beispiel eines autoritätsverachtenden Journalismus, das im Spiegel wohl leider undenkbar gewesen wäre. Braucht man sich bloß das Gespräch anschauen, das Augstein 1966 mit Heidegger führte.
Detlef Kuhlbrodt
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