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Bibel, Black Liberation und elektronische Baukästen

■ Der wechselhafte Dub-Alchimist Mad Professor veredelt mit seinen Echokammern die Electric Robotik Musicians

Er ist unberechenbar bis an den Rand der Beliebigkeit. Seit gut 20 Jahren veröffentlicht der in Guyana als Neil Fraser geborene „King Of Dub“ Dubplatten, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Unter seinem Pseudonym Mad Professor hielt der Studiotüftler mit seinem Ariwa-Label und zusammen, aber unabhängig und in hartnäckiger Leugnung gegenseitiger Beeinflussung, mit Adrian Sherwoods On-U-Sound den Dub hoch, als kein Hahn mehr nach dieser Reggae-Variante krähte.

Jetzt gilt der Mad Professor als Mentor und Ziehvater einer neuen Generation, die unter Neo-Dub firmiert, und fährt langsam seine Ernte ein. Vor zwei Jahren kam er überraschend mit einem Publikum außerhalb der eingeschworenen Reggae-In-Group in Kontakt, als er sich das mäßige zweite Album von Massive, Protection, zur Brust nahm und in seinen Echokammern veredelte. No Protection hieß die Konfrontation zwischen Bristol und dem Mad Professor und kann als eine der ausgefeiltesten Dub-Platten der letzten Jahre bezeichnet werden. Denn der Mad Professor ist immer dann wirklich gut, wenn er sich ein Korsett, eine Struktur, einen Song aufzwingt.

So auch in auf Anti-Racist Dub Broadcast (1994), das ungeschlachte Dub-Texturen mit politischen Parolen der Black Liberation erdet. Hier hält sich der Professor, dessen überbetonte Madness ähnlich wie bei George Clinton oder Lee „Scratch“ Perry Unzurechnungsfähigkeit und damit Unangreifbarkeit garantieren soll, an altbewährte Riddims, um diese zurückhaltend durch die Batterie seiner Dubmaschinen zu jagen. Im gleichen Jahr zeigte er allerdings auch sein anderes Gesicht: das des wechselhaften, zerstreuten Professors, der ganz den technischen Möglichkeiten seiner Versuchsanordnung im Studio verfällt. So versuchte er sich auf It–s a Mad, Mad, Mad Professor an einem elektrifizierten Dub, der ihn allerdings selbst schnell zu langweilen schien. Denn immer wieder brechen die Stücke auseinander, und Effektgeräusche übernehmen die Regie.

Zum Glück hält sich der Mad Professor auch erstmal mit seinen hanebüchenen alttestamentarischen Predigten zurück. Verlegte er doch noch 1993 seinen Dub in den Mount Sinai und begab sich geschichtsklitternd auf die Suche nach den Lost Scrolls of Moses. Aber auch diese Maske wird der Dubalchimist wohl bei Bedarf wieder hervorholen.

Vielleicht schon kommenden Freitag, wenn er die Liveband Electric Robotik Musicians am Mischpult sich selbst entfremden wird? Ob Politik, altes Testament oder Effekthascherei dabei herauskommt, hängt wohl von seiner Stimmung ab. Denn der Mad Professor ist eben unberechenbar.

Volker Marquardt Fr, 24. Januar, 21 Uhr, Fabrik

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