: Waigel rechnet alle reich
■ Die Steuerreform begünstigt die ganz Armen und die Reichen. Für alle anderen bleibt sie vorläufig eine Wundertüte. Finanzminister fehlen mindestens 40 Milliarden
Bonn/Berlin (taz) – Gleichung mit vielen Unbekannten in Bonn: Nachdem die Fraktionen der Regierungskoalition den ganzen Tag über ihren großen Wurf Steuerreform beraten hatten, stellte Finanzminister Theo Waigel sie am Abend der Öffentlichkeit vor. Der Grundfreibetrag beim Einkommensteuertarif beträgt für Ledige 13.014 Mark. Der Einangssteuersatz soll von 25,9 Prozent auf 15 Prozent gesenkt werden. Das gilt für Einkommen bis 18.035 für Ledige. Von da an steigt der Steuerkurs linear-progressiv von 22,5 Prozent bis zum Höchstsatz von 39 Prozent, den Menschen mit 90.017 Mark Jahreseinkommen zahlen müssen. Gewerbliche Einkommen sollen nicht wie private schon ab dem 1. Januar 1998 von jetzt 47 Prozent auf 35 Prozent gesenkt werden.
Theo Waigel war von seiner Reform begeistert. Er sprach von einem „schöpferischen Gesamtkonzept“ und lobte den „großen Mut“. Arbeitsminister Norbert Blüm sah das anders. Zusammen mit CDU-Fraktionsvize Heiner Geißler sowie rund zehn weiteren Mitgliedern der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat er nach Agenturmeldungen Waigels Reform am Nachmittag abgelehnt. Die Rentenbesteuerung fanden sie unakzeptabel. Dafür sah der liberale Fraktionschef Hermann Otto Solms die Steuerreform als Ausdruck der „sozialen Wärme“ der FDP strahlen und konnte dem schallenden Gelächter im Saal der Bundespressekonferenz selbst nicht widerstehen.
Jedoch, die geplante Einkommensteuerreform ab dem 1. Januar 1999 reißt weitere Löcher. Finanzminister Theo Waigel veranschlagt für die Kassen seines Nachfolgers 81,95 Milliarden Mark Deckungslücke für den Haushalt 1999. Finanziert werden soll die als Entlastung verkaufte Steuerreform durch 38,12 Milliarden Mark gestrichene Subventionen und Vergünstigungen von Privatleuten und Unternehmen. Damit fehlen im Haushalt 1999 schon jetzt 43,83 Milliarden Mark. Kein Problem für Waigel. Die Mehrwertsteuer soll um einen Prozentpunkt auf 16 Prozent raufgesetzt werden. Trotzdem würden mindestens 27,17 Milliarden Mark fehlen. Deswegen ruht Waigels Vertrauen ganz auf den Selbstheilungskräften des Marktes: Die Reform werde einen „Wachstumsschub“ von 0,5 Prozent zusätzlich bringen, sagte er gestern abend.
„Wir wollen keine Gegenfinanzierung durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer“, sagte schon gestern Hans Eichel, SPD-Ministerpräsident von Hessen, im Interview mit der taz. „Fest steht auch, daß es bei dieser Reform überhaupt keine familienpolitische Komponente gibt“, kritisierte Eichel den Regierungsentwurf. Eichel hat mit seinen Kollegen aus den anderen Bundesländern im Bundesrat das letzte Wort zum großen Wurf der Regierung.
„Waigel muß die Steuern erhöhen, um seine Minireform zu finanzieren“, sagte gestern Oswald Metzger, finanzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. „Und er muß einen knallharten Sparkurs fahren.“ Sein Kollege von der SPD-Fraktion, Joachim Poß, findet Waigels Pläne schlicht „unvollständig, unseriös und ungerecht“. Das Ziel der Nettoentlastung sei eine „Milchmädchenrechnung“ des Bundesfinanzministers. ufo/maf
Tagesthema Seiten 2 und 3
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