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Ein Palast auf Rädern

Im Luxuszug von Neu-Delhi durch Rajasthan nach Gujarat. Eine Woche ausgezeichnetes Essen im Speisewagen in prächtigem Maharadscha-Stil. Morgendliches Duell um die Duschkabinen. Auf dem Weg: Heiligtümer und Naturschönheit  ■ Von Heimo Aga

Bei der Ankunft in Delhi hat man jedesmal das Gefühl, mittels Zeitmaschine ein paar Jahrzehnte in die Vergangenheit gereist zu sein. Staunend chartern wir eines jener Taxis im Entenhausen-Design namens „Ambassador“ – Nachbauten des Morris Minor der späten fünfziger Jahre, die meist um die zwanzig Jahre alt sind und scheinbar nur mehr von am Armaturenbrett befestigten Krishna- oder Ganesh-Amuletts zusammengehalten werden. Gerade rechtzeitig vor der Abfahrt des „Royal Orient“ kommen wir in der Delhi-Cantt Station bei strömendem Regen an. Der Royal Orient ist der ehemalige Luxuszug Palace on Wheels. Er fährt betuchte Touristen für etwa 2.000 Mark eine Woche von Neu-Delhi durch Rajasthan nach Gujarat. Die restlichen 102 Passagiere, die außer uns an der Reise teilnehmen, sitzen schon in der eierschalenfarbenen, gut 500 Meter langen Schlange, die mit uns während der nächsten Tage durchs Land kriechen wird.

Die Kabinen sind geräumig, etwas kitschig geraten wie der ganze Zug, mit zwei ebenerdigen Betten und einem Hochbett, das aber bei der üblichen Zweierbelegung als Gepäckablage herhalten muß. Jeder der vierzehn Schlafwagen hat vier Kabinen und zwei Kloduschen beziehungsweise Duschklos und an einem Ende eine kleine Lounge, in der wir uns nach der Abfahrt mit den übrigen Gästen unseres Wagens zum Begrüßungstee treffen. Bis zum Abendessen bleibt noch ein bißchen Zeit für einen Gin-Tonic im Barwaggon, und schon finden wir uns in einem der beiden Speisewagen wieder: dem prächtigeren im Maharadscha-Stil, mit Wandmalereien, die Szenen aus dem opulenten Leben der indischen Landlords wiedergeben, oder im etwas schlichteren Waggon im elegant-nüchternen Stil spätkommunistischer Plastik- Folklore.

Der indische Wein schmeckt etwas nach Medizin, und sämtliche Gänge werden mit nur einem Besteck und vom selben Teller verspeist. Dennoch sind der panierte Seefisch mit dem unaussprechlichen Hindi-Namen, das Tandoori Chicken und das Kartoffel-Karfiol-Curry-Gemüse ein ausgesprochener Genuß.

Die erste Station am nächsten Morgen ist Chittorgarh. Wasserfassen und Richtungswechsel passieren unauffällig, während die beiden unserem Wagen zugeteilten Stewards in der Lounge das Frühstück servieren. Die Dotter der Spiegeleier haben dieselbe bläßlichgelbe Farbe wie der ganze Zug.

Udaipur erweckt den Eindruck, als wäre es noch immer die Stadt des Maharana, obwohl dieser eigentlich schon vor gut vierzig Jahren vom Staat der meisten seiner Privilegien beraubt worden ist; aber die dominierenden Bauten sind nach wie vor seine Residenz – der City Palace – und der gegenüber im Pichola-See gelegene Lake Palace. Letzterer wurde vom Maharana an eine Hotelbetreibergesellschaft verpachtet und mußte aufgrund seiner malerischen Lage auch schon als Schauplatz im James-Bond-Streifen „Octopussy“ herhalten.

Maharana Mewal, ein weißbärtiger Mittfünfziger, hat einen beachtlichen Bauch. Ansonsten gibt sich der wahrscheinlich mächtigste Mann Rajasthans eher bescheiden: Er empfängt uns in seinem schlichten Büro in der Lobby des Palasts. Er beklagt sich, daß es in Indien schwierig sei, Qualitätstourismus zu betreiben, denn es fehle den Beteiligten meist an Teamgeist: So hätten die Piloten von Indian Airlines einen Bummelstreik begonnen, obwohl man sich mitten in der Hochsaison befände. Er hat mittlerweile selbst begonnen, in seinem Palast ein kleines, aber feines Hotel zu betreiben. Wir verlassen den Palast auf dieselbe Art wie Roger Moore in „Octopussy“ – mit einem wahnsinnig gewordenen Motor-Trishaw-Fahrer. Mit entrücktem Grinsen und gelegentlichem Kopfwackeln kurvt er um heilige Kühe, schwerfällige Ambassadors und schimpfende Bettler.

Die zweite Nacht im Zug bringt eine Überraschung: Am Morgen wachen wir – statt wie geplant in Sihor – wieder in Udaipur auf. In der Nacht war auf der Strecke vor uns ein Güterzug entgleist, und es hätte zu lange gedauert, auf das Ende der Aufräumungsarbeiten zu warten. Dadurch kommen wir in den unvorhergesehenen Genuß einer Fahrt durch die landschaftlich schönste Strecke Rajasthans in Richtung Jodhpur, durch die wilden, mit wagemutigen Brückenkonstruktionen überspannten Schluchten des Aravalli-Gebirges, bevor wir bei Marwar wieder in Richtung Süden nach Ahmedabad abbiegen.

Kurz vor der Grenze zu Gujarat besteigen noch ein paar freundliche, korrekt gekleidete Herren den Zug: Es sind Beamte jener 650 Mann starken Behörde, die in diesem mit Prohibition belegten Bundesstaat Ausnahmegenehmigungen für den Alkoholgenuß erteilen. Fortan bekommen wir unsere Drinks in Speisewagen und Bar nur mehr gegen Vorlage unseres Alkoholikerausweises, die uns besagte Herren freundlicherweise ausgestellt haben.

Auf einem Hügel bei Palitana, unserem ersten Halt in Gujarat, befindet sich das zweitwichtigste Heiligtum der Jains, ein Komplex von ein paar Dutzend größeren und angeblich rund achthundert kleineren Tempeln. Der Aufstieg über die dreitausend zum Teil recht steilen Treppenstufen ist beschwerlich, und so ist ein eigenartiges Business entstanden: Jeweils vier Männer tragen gebrechliche Besucher für 400 Rupies (20 Mark) auf einem Gestell aus einem Campingsessel und zwei Bambusstangen hinauf und hinunter.

Um die zwei Duschkabinen, die wir uns zu acht in unserem Waggon teilen müssen, gibt es allmorgendlich ein Duell. Nach einem Marsala-Omelett zum Frühstück, Ausflug zum Tempel von Somnath. Die eigentliche Attraktion des Tempels ist seine wunderschöne Lage an einem schier endlosen, gut 50 Meter breiten Sandstrand.

Gleiches gilt für das Gebäude von Ahmedpur Mandvi: Zwar wird es in Fremdenverkehrsbroschüren vollmundig als schönstes Haus Indiens angepriesen; in Wirklichkeit gleicht es eher einem verfallenen Erholungsheim für bulgarische Altkommunisten.

Rein asiatisch sind die Vorfahren der Löwen im Reservat von Sasan Gir: Nachdem Anfang dieses Jahrhunderts nur noch etwa 20 der prächtigen Tiere überlebt hatten, überzeugte Lord Curzon den örtlichen Maharadscha davon, eines der ersten Naturschutzreservate der Welt für die Katzen zu errichten. Die haben sich inzwischen prächtig vermehrt, auf etwa 280 Stück – nicht zuletzt deshalb, weil auf dem Areal immer noch Menschen leben und Haustiere halten, die für die Löwen willkommene und leichte Beute sind.

Menschen werden normalerweise nicht attackiert, solange sie gewisse Verhaltensregeln beherzigen; so kann sich auch unsere Gruppe bis auf wenige Meter einem in Paarung befindlichen Löwenpärchen nähern, das sich unter einem Akazienstrauch versteckt hat. Ein gelegentliches, furchterregendes Knurren hält uns auf Distanz und läßt uns immer wieder zusammenzucken.

Derartige Thrills hat Gujarats Hauptstadt Ahmedabad freilich nicht zu bieten: Die größte Attraktion ist der ehemalige Ashram Mahatma Gandhis. Idyllisch gelegen am Fluß Sabarmati, beherbergt der Gebäudekomplex ein Museum über das Leben des Vaters der modernen indischen Nation. Im Lieblingszimmer des asketischen Mahatma steht sogar noch das berühmte Spinnrad, an dem er jeden Tag mehrere Stunden zu arbeiten pflegte. Ich kaufe mir im zugehörigen Bookshop für 12 Rupies (60 Pfennig) sein Buch „An Autobiography or The Story of my Experiments with Truth“ und verbringe meine restliche Zeit in Gujarat damit, darin zu schmökern.

Die letzte Station unserer Reise liegt wieder in Rajasthan – Jaipur, die Pink City. Der Name kommt nicht von ungefähr: Die meisten Gebäude der gut erhaltenen, von einer hohen Mauer umgebenen Altstadt erstrahlen in kräftigem Schweinchenrosa. Es handelt sich dabei allerdings nicht um die Originalfarbe, ursprünglich war dezentes Elefantengrau vorherrschend. Anläßlich eines Besuchs von Prinz Albert mußte jedoch alles in der traditionellen Willkommensfarbe für die Royals umbemalt werden – so auch der berühmte „Hawa Mahal“, der Palast der Winde, der eigentlich nur eine potemkinsche Häuserfront ist. Durch dessen 953 Fenster konnten die ansonsten zu einer Existenz innerhalb der Palastmauern verurteilten Frauen der Maharadschas einen Blick nach draußen erhaschen. Im angrenzenden City Palace lebt noch heute die Herrscherfamilie.

Beim Mittagessen im Rambagh Palace Hotel, dem besten Haus am Platz, dürfen auch wir uns zwei Stunden lang beim mit Abstand besten Essen der Reise wie Maharadschas fühlen. Ein würdiger Abschluß unserer Eisenbahn-Kreuzfahrt durch Indien.

Information: Indisches Fremdenverkehrsamt, Baseler Str. 48,

60329 Frankfurt, Tel.: 069-235423,

Fax: 069-234724

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