: Niemals war Packermania so schick
Die Wiedergeburt der Käseköpfe: 29 lange Jahre nach ihrem letzten Titelgewinn spielen die Green Bay Packers, der traditionsreichste Profi-Football-Klub der Welt, morgen wieder um den Super Bowl ■ Von Thomas Winkler
15. Januar 1967, Los Angeles Memorial Coliseum, Super Bowl I: Die Green Bay Packers gewinnen 35:10 gegen die Kansas City Chiefs.
26. Januar 1997, New Orleans Superdome, Super Bowl XXXI: Die Green Bay Packers treffen auf die New England Patriots, und das Ergebnis könnte ähnlich deutlich werden (DSF, ab 22.30 Uhr).
Es hat sich viel geändert in den letzten 30 Jahren. Damals blieben 31.000 Plätze unbesetzt. Heute werden Karten auf dem Schwarzmarkt mit 1.800 Dollar gehandelt, und 30 Sekunden Werbung kosten 1,2 Millionen. Damals erhielten die Packers 15.000 Dollar pro Mann als Siegprämie und verdoppelten damit teilweise ihr Jahresgehalt. Heute verdient Drew Bledsoe, Quarterback der Patriots, 42 Millionen in sechs Jahren.
Es hat sich viel geändert in den letzten 30 Jahren. Nur in Green Bay scheint alles beim alten geblieben zu sein. So will es zumindest der Mythos in „Titletown, USA“, wie das Kaff am Lake Michigan leicht ironisch getauft wurde, als die Packers in den 60er Jahren fünfmal die NFL-Meisterschaft und als Dreingabe sozusagen gleich noch die ersten beiden Super Bowls gewannen. Natürlich haben auch hier die Spieler inzwischen Multi-Millionen-Dollar- Verträge, natürlich steht ein hochmodernes Trainingsgelände zur Verfügung, und natürlich ist die Vorbereitung ebenso akribisch und hochtechnisiert wie bei jedem anderen NFL-Team. Aber ansonsten scheint hoch im Norden die Zeit stehengeblieben zu sein.
Wenn die Packers auswärts spielen und ihr Flugzeug in der Nacht zurückerwartet wird, stellen viele der 96.466 Einwohner ein Licht ins Verandafenster. Seit 1960 war jedes Heimspiel ausverkauft. Der Pokal, den der Gewinner des Super Bowl überreicht bekommt, heißt „Lombardi Trophy“ nach Vince Lombardi, dem Coach der Packers in den 60ern. In Green Bay kann man alte Möbel bei „Packer City Antiques“ kaufen, ein Auto bei „Packer City Isuzu“ und das bei „Packerland Shell“ volltanken. Die Kinder schickt man in die „Lombardi Middle School“, die am „Packerland Drive“ gelegen ist. Und die „Hall of Fame“ der Packers findet man in der „Lombardi Avenue“. „Hier gibt es nichts zu tun, als sich mit Football zu beschäftigen“, weiß Packers-Quarterback Brett Favre.
Die Packers sind das letzte Team aus den Gründertagen der professionellen Football-Ligen, das immer noch in derselben Stadt ansässig ist — seit 1919. Inzwischen ist Green Bay die mit Abstand kleinste US-amerikanische Stadt, in der noch eine Franchise der vier großen Profi-Sportarten überlebt hat. Der Hauptgrund dafür ist, daß die Packers nicht im Besitz eines Geschäftsmanns oder einer Firma sind, die den Klub einfach verkaufen oder in eine andere Stadt transferieren könnten, wenn das Geschäft nicht richtig läuft. Green Bay ist eine Aktiengesellschaft, die keinen Profit machen darf. Als das Team 1950 vor der Pleite stand, wurden 4.600 Anteile ausgegeben. Heute besitzen 1.915 Menschen Aktien. Niemand darf mehr als 200 halten. Es wurden niemals Dividenden gezahlt, und es werden niemals welche gezahlt werden. Sämtliche Einnahmen müssen wieder für Gehälter oder das Stadion ausgegeben werden. Preis pro Aktie damals: 25 Dollar. Wert heute: 25 Dollar. Allerdings sind auch keine Anteile zu kaufen. Die meisten werden vererbt und hängen eingerahmt in Wohnzimmern in Wisconsin. Man bekommt als Aktionär noch nicht einmal bevorzugt Eintrittskarten.
Inzwischen wird der Wert der Franchise auf 166 Millionen Dollar geschätzt. Aber sollte sie tatsächlich einmal verkauft werden, würde niemand reich werden. Die Satzung legt fest, daß zuerst alle Anteilseigner ihre 25 Dollar ausbezahlt bekämen. Der Rest ginge dann an eine gemeinnützige Organisation, die davon ein Denkmal für die Gefallenen der Weltkriege errichten muß. „Ich habe 1950 einen Anteil gekauft“, erzählt Lee Remmel, Pressesprecher der Packers, „das war möglicherweise nicht meine beste Investition, aber meine 25 Dollar könnte ich jederzeit zurückbekommen.“
Daß es keinen profilneurotischen Besitzer gibt, macht es für die Verantwortlichen und Trainer einfacher, sich ganz auf Football- Belange zu konzentrieren. Andere Klubs suchen sich beim alljährlichen Draft, bei dem die College- Spieler den Teams zugeteilt werden, schon mal einen Quarterback aus, der Starpotential hat, um die Vermarktungsmöglichkeiten zu verbessern, obwohl das Team einen unspektakulären Verteidigungsspezialisten nötiger hätte.
Daß die Packers den Football- Boom überleben konnten und seit Jahrzehnten erstmals wieder ein Spitzenteam aufs Feld schicken, liegt in allererster Linie an einer NFL-Vereinbarung, die die Teams dazu verpflichtet, ungefähr 60 Prozent aller Einnahmen gleichmäßig untereinander aufzuteilen. So können auch Klubs in kleineren Städten mit niedriger dotierten lokalen TV-Verträgen konkurrieren.
Trotzdem waren die Packers nach elf NFL-Titeln bis 1968 in der Mittelmäßigkeit verschwunden. 29 Jahre später haben sie wieder den Super Bowl erreicht und den eigenen Mythos wiederbelebt. Zwar waren die Fans über all die Jahre immer loyal, aber der Erfolg der letzten Zeit hat eine Hysterie ausgelöst. Wenn in Green Bay von „The List“ die Rede ist, weiß jeder, was gemeint ist: die Warteliste für Saisonkarten. Vor zehn Jahren war sie ungefähr 8.000 Namen lang. Inzwischen wollen mehr als 30.000 Jahrestickets. Zwei Familien haben ungeborene Kinder auf die Liste setzen lassen. Rob Coleman aus Green Bay war noch in der High- School, als er sich 1975 einschreiben ließ, und ist inzwischen Nr. 1.640: „Ich denke, ich werde meine erste Rente gleich den Packers überweisen können.“ Doch die meisten Karten werden weitervererbt. Bei der momentanen Rate würde es 6.000 Jahre dauern, bis die aktuelle Liste abgearbeitet ist.
Es gibt also keinen Mangel an potentiellen Cheeseheads, die das Lambeau Field, das nach dem Packers-Gründer Curly Lambeau benannte Stadion, auch in den nächsten Jahren füllen werden, um dort auf den nächsten Touchdown und den folgenden „Lambeau Leap“ zu warten. Den Sprung in die Zuschauer hat Wide Receiver Robert Brooks erfunden, im Nebenberuf Rapper. Seine HipHop-Single „Jump in the Stands“ hat er mehr als 250.000mal verkauft.
Früher war Cheesehead ein Schimpfwort, weil in Wisconsin die Milchwirtschaft der größte Arbeitgeber ist, inzwischen tragen die Zuschauer Hüte aus Schaumstoff in Käseform, die außerdem ganz vorzüglich warmhalten sollen. Und das ist bitter nötig, weil es vor allem während der Playoffs im Januar im Norden von Wisconsin so kalt werden kann, daß das Lambeau Field schon lange den Spitznamen „Frozen Tundra“ trägt. Im Winter ist das Spielfeld dann wahlweise hart gefroren oder matschig. Aber die Käsehüte tauchen nicht nur in Green Bay auf, sondern auch in allen anderen NFL-Stadien. Da es fast unmöglich ist, Karten für die Heimspiele der Packers zu bekommen, wird das Team von vielen Anhängern quer über den Kontinent begleitet. Der Mythos tut ein übriges: Niemals war es so schick, ein Packers-Fan zu sein, wie heute. Packermania ist ausgebrochen. Das Milwaukee Symphonie Orchester wird bei zwei Konzerten Bänder in den Teamfarben Grün und Gold tragen. Konzertbesucher, die vollständig in Grün-Gold gekleidet sind, bekommen zwei Karten zum Preis von einer. Ein Bestattungsunternehmen in Janesville, ca. 200 Kilometer von Green Bay entfernt, verkauft Särge in Grün und Gold. Drei Menschen wurden bisher in ihnen beerdigt.
Aber in Green Bay selbst stehen die Uhren still. Im Sommer radeln die Kinder von Green Bay jeden Tag zum Trainingsplatz, und die Spieler fahren nach dem Trainingsende auf deren Fahrrädern die 500 Meter zurück zur Umkleidekabine, während die Kinder nebenher laufen und die Helme der Spieler tragen. In Green Bay haben sie ihre Packers immer geliebt, und sie werden sie immer lieben. „Die Packers sind wie eigene Kinder“, läßt Packers-Fan Steve Gay übers Internet mitteilen, „du liebst sie nicht, weil sie gut sind. Du liebst sie, weil sie deine Kinder sind.“
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