Das Schweigen aufbrechen

■ Zweitägige Konferenz zur Gegenwart des Holocaust. Deutsche Sektion von "One-by-one" initiiert Gespräche mit Nachkommen von NS-Tätern und Opfern

Mit der Gegenwart der Geschichte des Holocaust beschäftigt sich eine zweitägige Konferenz, die gestern im Rathaus Schöneberg begann. Rund 350 TeilnehmerInnen aus dem In- und Ausland beraten anläßlich des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz über die heute sichtbaren Folgen der Vernichtung der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus für die Nachkommen von Opfern und Tätern.

Während der Konferenz stellte sich die 1996 gegründete US-amerikanische Gruppe One-by-one vor, die auch eine Sektion in Berlin hat. Martina Emme ist Mitbegründerin und stellvertretende Vorsitzende der Organisation.

taz: Was will One-by-one?

Martina Emme: Unser Ziel ist, eine Begegnung zwischen Nachkommen jüdischer NS-Opfer einerseits und Nachkommen der TäterInnen-Generation andererseits zu ermöglichen. Es geht uns darum, das Vermächtnis des Schweigens aufzubrechen.

Wie sieht Ihre Arbeit in Berlin aus?

Wir veranstalten jeden letzten Samstag im Monat von 14 bis 18 Uhr ein offenes Treffen in der Rungestraße 3. Dort haben Leute die Gelegenheit, darüber zu sprechen, was sie im Zusammenhang mit dem Holocaust beschäftigt, und sich dann zu entscheiden, ob sie an einem Intensivtreffen teilnehmen wollen. Bei diesen geht es um die Frage, was es für ihr Leben bedeutet, im Schatten von Nazi- Erbe und Holocaust aufgewachsen zu sein. Wir erzählen uns unsere Geschichten. Und dieses Erzählen ist eigentlich schon die Arbeit. Es geht nicht um Versöhnung, sondern um einen Versuch der Annäherung.

Interessieren sich hier mehr TäterInnen- oder mehr Opfer-Nachkommen für einen Dialog?

Es sind überwiegend nichtjüdische Deutsche, von denen meistens die Väter, aber auch die Großväter in Naziverbrechen verstrickt waren. Bei vielen fängt das jetzt an Thema zu werden. Ich selbst zähle mich zu dieser Seite der dritten Generation, die aus der dumpfen Ahnung herauswill und die auch begreift, daß die Konfrontation mit den eigenen Angehörigen nicht der einzige Weg der Auseinandersetzung ist. Wir versuchen, über die Jüdische Gemeinde in Berlin Kontakt zu Kindern und Enkeln von Holocaust-Opfern zu bekommen, was nicht immer einfach ist.

Wo sehen Sie die Gründe für Vorbehalte auf der Opferseite?

Die Schmerzen sind größer. Ich weiß von vielen, wie schwer das für sie ist, von der Ermordung ihrer Angehörigen zu erzählen. Die Berührungsängste im Land der Täter mit Nachkommen von Tätern sind stärker als etwa in den USA.

Wie wollen Sie Ihre Erfahrungen weitergeben?

Wir gehen vor allen Dingen an Schulen. Es geht dabei immer um die Frage: Wie kann man ins Gespräch kommen über das, was in Deutschland noch immer tabuisiert ist, die Lücke zwischen öffentlichem Reden über den Holocaust und der eigenen Familiengeschichte zu schließen. Interview: Monika Hinner