: Kein Allheilmittel für die Universitäten
Studenten und Professoren sind unzufrieden mit der Evaluation der Hochschullehre ■ Von Karin Bundschuh
Die Lehre war stets ein Stiefkind an deutschen Universitäten. Sie galt nichts im Land der Dichter und Denker, allein der Forschung gehörte die Liebe der Professoren. Zwar mühten sich einige Didaktiker, dem Hochschulunterricht Rang und Anerkennung zu verschaffen. Sie blieben jedoch ziemlich erfolglos. Anfang der neunziger Jahre geisterte dann plötzlich das Wort von der „Lehrevaluation“ durch die Flure und Hörsäle der deutschen Hochschulen. Vorlesungen, Seminare, Praktika und vor allem die Professoren waren auf einmal freigegeben zur Beurteilung. Nun mußten nicht mehr nur die Studierenden ihre Leistungen bewerten lassen, auf dem Prüfstand standen auch die Fähigkeiten der Lehrenden.
Dieses Ansinnen gefiel nicht jedem Dozenten. Manche sahen die Freiheit der – bisher kaum beachteten – Lehre gefährdet. Andere konnten sich zwar vorstellen, von Fachkollegen überprüft zu werden, den Studenten sprachen sie aber jegliche Kompetenz hierfür ab. Außerdem fürchteten viele, daß schlechte Bewertungen durch Kürzungen des Budgets bestraft würden. Dennoch entwickelte sich die „Evaluation“ binnen kürzester Zeit zum Zauberwort.
Die verschiedensten Gremien initiierten Modellversuche. Der Wissenschaftsrat organisierte ein Projekt zu „Stärkung der Lehre an den Hochschulen durch Evaluation“. Darin wirkte auch der Fachbereich Physik an der Universität Freiburg mit. Baden-Württemberg beauftragte das Hochschul-Informations-System (HIS) in Hannover unter anderem mit der Evaluierung des Studiengangs Anglistik in Mannheim. In Berlin entstand an der Freien Universität (FU) das „Projekt Pro Lehre“ (PPL).
Das PPL ist bis heute einzigartig in der Bundesrepublik. Die dort tätigen Hochschuldidaktiker und Soziologen haben in den vergangenen fünf Jahren die Fachbereiche und Dozenten bei der Evaluierung unterstützt, unterschiedliche Konzepte hierfür erarbeitet und ordnerweise Daten gesammelt. Zirka 30.000 Fragebögen wurden bisher vom PPL ausgewertet; dabei blieb Überraschendes nicht aus.
Ein Ergebnis erregte besonders viel Aufsehen. Die Studierenden bewerteten die Lehrveranstaltungen erstaunlich gut. „Sie verteilen im Durchschnitt Noten, die nur knapp unter ,Zwei‘ liegen“, berichtet der Soziologe Dieter Grühn. Nur etwa 15 Prozent der Kurse wurden schlecht bewertet. Diese Resultate können die Studierenden meist nicht glauben, vereinzelt werfen sie dem PPL sogar Fälschungen vor. So weit geht Jochen Geppert vom Asta der FU Berlin nicht. Er macht die „nichtssagenden Fragen“ in den PPL-Erhebungen für die positiven Ergebnisse verantwortlich. Ginge es nach dem Asta, würden engagierte Studierende, die „Ahnung haben“, die Fragen formulieren. Und zwar so, daß auch weniger kritische KommilitonInnen mit der Nase auf die Mängel gestoßen werden, die diese „Experten“, wie Geppert sie nennt, bereits ausgemacht haben. Mit den Ergebnissen des PPL könne man politisch wenig arbeiten, beklagt der Studentenvertreter.
Grühn macht für die positive Bewertung – die sich in Untersuchungen an anderen Hochschulen bestätigte – zwei Gründe verantwortlich. Seiner Ansicht nach sind die Lehrveranstaltungen didaktisch besser, als es das gängige Vorurteil glauben läßt. „Auf der anderen Seite können die Studierenden das gar nicht richtig beurteilen“, glaubt Grühn. Man sehe nur, was man kenne, und erstklassige didaktische Ansätze, die für Schulungen in der Wirtschaft genutzt würden, seien ihnen schließlich fremd.
Eine genauere Analyse zeigt überdies, daß die massiven Klagen der Studierenden häufig eine andere Ursache haben: Sie leiden an den Studienbedingungen und bewerten diese auch schlecht. So fehlen in den Bibliotheken Bücher, die sie dringend brauchten. Oder es dauert Jahre, bis Scheine endlich anerkannt sind, die man an einer anderen Universität erworben hat. Häufig fühlen sich die StudentInnen außerhalb der Lehrveranstaltungen schlecht betreut, und vielen fehlt in ihrem Studium der Praxisbezug. Obwohl das PPL zeigen konnte, wo es in den Fachbereichen der FU knirscht, haben sich die Studienbedingungen kaum verbessert. In der Diagnose sei, so das PPL, die Therapie nicht automatisch inbegriffen, und das hätten viele verkannt, die auf die Evaluation als Allheilmittel der siechen Hochschulen hofften.
Diese Erfahrung mußte auch der Fachbereich Anglistik an der Universität Mannheim machen. Dort hatte man bereits intern eine Evaluation vorgenommen, bevor die Landesregierung das HIS in Hannover erneut mit der Beurteilung beauftragte. Ulrich Halfmann, Professor für Amerikanistik, wird gallig, wenn er sich daran erinnert. Denn die viele Arbeit, die der Fachbereich selbst mit der Mängelsuche gehabt habe, habe nichts gebracht. Dabei sei klargeworden, daß auch hier die Studienbedingungen zu wünschen übrigließen. Die erneute, in der Landeshauptstadt Stuttgart ersonnene Evaluation lehnten die Mannheimer Anglisten daraufhin auch ab. Seine Vorlesungen und Seminare läßt Halfmann aber dennoch jedes Semester von den Studierenden beurteilen, weil er dadurch „ein genaues Bild des Kurses“ bekommt.
Auf die Noten seiner StudentInnen will auch der Freiburger Physiker Gregor Herten nicht mehr verzichten. „Diese Bewertung ist hilfreich und gut.“ Kollegen, die vor fünf Jahren das Semester noch mit einer „Vier“ abschlossen, hätten sich inzwischen eine knappe „Zwei“ erarbeitet, erzählt Herten. Nicht ohne Stolz weist er darauf hin, daß es das Studentenvotum in seinem Fachbereich schon gegeben habe, bevor man sich 1994 am Evaluationsprojekt des Wissenschaftsrates beteiligte. Ob diese Teilnahme allerdings „so furchtbar sinnvoll war“, bezweifelt Herten. Der ganze Papierkram habe unglaublich viel Arbeit gemacht und am Ende habe der Wissenschaftsrat doch nur die Änderungsvorschläge wiederholt, die man selbst schon erarbeitet gehabt habe.
Herten beklagt auch, daß sich viele der Vorschläge bisher nicht umsetzen ließen. Die Betreuung der Erstsemester könne man zwar selbst verbessern, doch um neue Nebenfächer zuzulassen, brauche es die Zustimmung des Ministeriums. „Und da hakt es etwas.“ Evaluation kann bei weitem nicht alle Probleme lösen. Das zeigen diese drei Beispiele. Doch eines hat die Euphorie der frühen 90er Jahre auf jeden Fall bewirkt: Lehre wird heute ernster genommen. Sie ist kein Stiefkind mehr – auch wenn noch vieles zu verbessern ist.
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