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Die Achse Paris-Bonn rennt der EU davon

■ Presse enthüllt „Geheimvertrag Kohl-Chirac“ über eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Die deutsch-französischen Alleingänge häufen sich

Berlin/Paris (taz/AP) – Das französische Außenministerium hat am Wochenende Presseberichte bestätigt, wonach Deutschland und Frankreich im Dezember einen geheimen Beschluß über eine gemeinsame Verteidigungspolitik getroffen hätten. Die Tageszeitung Le Monde hatte zuvor unter dem Titel „Geheimvertrag Kohl-Chirac“ berichtet, die entsprechende Übereinkunft sei bei einem französisch-deutschen Gipfeltreffen am 9. Dezember 1996 in Nürnberg beschlossen worden.

Die Übereinkunft beschreibt die Sicherheitsinteressen von Deutschland und Frankreich als „unzertrennlich“. Beide Länder seien „denselben Risiken“ ausgesetzt; beide Länder befänden sich „aufgrund ihrer geographischen Lage, ihres demographischen und wirtschaftlichen Gewichts und ihres Engagements am Aufbau Europas“ im „Zentrum“ des Netzes europäischer Sicherheitsallianzen. So sollten die Militärs beider Länder als eine Einheit zusammenarbeiten und Doppelfunktionen abbauen. Ferner sei eine gemeinsame Nutzung der französischen Atomstreitmacht zu Abschreckungszwecken möglich. Aus Paris verlautete, das Dokument sei Anfang Januar beiden Parlamenten vorgelegt worden und gehe diese Woche der Nato zu.

Das Geheimdokument ist die jüngste Folge einer Reihe von deutsch-französischen Alleingängen innerhalb der EU. Vor einer Woche präsentierte Bundesaußenminister Klaus Kinkel zusammen mit seinem französischen Amtskollegen Hervé de Charette Vorschläge, in die revidierte Fassung der Maastrichter Verträge eine „Flexibilitätsklausel“ einzubauen, die einzelnen EU-Mitgliedern die Möglichkeit zur engeren Integration auch gegen den Willen der Rest-EU geben soll. Dies gilt als Möglichkeit, den Widerstand gewisser Länder wie Großbritannien gegen weitere Integrationsschritte – zum Beispiel bei der Angleichung staatlicher Finanzpolitik – zu umgehen. Ein internes Dokument des zuständigen EU-Kommissars Marcelino Oreja, das die Zeitung Le Monde vor einer Woche zitierte, nennt dafür unverblümt machtpolitische Gründe: Ohne eine Klärung im Rahmen der EU-Verträge „besteht das Risiko, daß sich die Flexibilität außerhalb durchsetzt“. Mit anderen Worten: Gewisse Länder seien bereit, die EU zu sprengen, um ihre Integrationsvorstellungen zu realisieren.

Der deutsch-französische Wunsch nach mehr „Flexibilität“ wird von den meisten anderen EU- Staaten abgelehnt, weil damit ein „harter Kern“ innerhalb der EU entstünde, der andere Länder benachteilige. So haben die Linksregierung von Italien und die konservative Regierung von Großbritannien verlangt, wirtschaftspolitische Angelegenheiten von solchen Alleingängen auszunehmen, um den gemeinsamen Markt nicht zu gefährden. Auch der britische Labour-Chef Tony Blair hat klargemacht, daß er nach einem eventuellen Wahlsieg die deutsch-französischen Vorschläge ablehnen wird.

Was die „Flexibilitätsklausel“ in der Praxis heißen könnte, war zuvor aus einem Bericht der britischen Tageszeitung Independent hervorgegangen, demzufolge Deutschland und Frankreich eine Harmonisierung der Steuer- und Sozialsysteme unter den Mitgliedsländern der Europäischen Währungsunion planen und beim nächsten EU-Gipfel in Amsterdam im kommenden Juni einen entsprechenden Beschluß herbeiführen wollen. Die normalerweise EU- freundliche Zeitung schrieb in ihrem Leitartikel von einem „französisch-deutschen Monster“, das „die Spaltung der EU in zwei ungleiche Teile“ betreibe, und warnte vorausschauend: „Später werden die französisch-deutschen Eliten auch die Verteidigungspolitik verschmelzen wollen.“ Frankreichs Premierminister Alain Juppé sagte in Reaktion auf den Bericht lediglich, es könnte „ein bißchen kontraproduktiv“ sein, solche Überlegungen „in diesem Moment“ anzustellen. D.J.

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