: Zeitvertrag für Bulgariens Sozialisten
■ Bulgariens Staatschef Stojanow will Expertenregierung unter Führung der unbeliebten Sozialisten ernennen. Gewerkschaften drohen mit Generalstreik. Sie wollen die Abwahl der sozialistischen Mehrheit im Parlament
Berlin (taz/dpa/rtr) – Nun also doch: Bulgariens neuer Staatspräsident, Petar Stojanow, bekennt Farbe. Und die ist, zumindest zunächst einmal, rot. Gestern meldete der staatliche Rundfunk unter Berufung auf den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Bulgariens (BSP), Georgi Parwanow, Stojanow werde die BSP bis heute abend mit der Regierungsbildung beauftragen. Das neue Kabinett soll hauptsächlich aus Fachleuten bestehen. Stojanow handelt damit verfassungsgemäß, appellierte aber gleichzeitig an die Sozialisten, den Auftrag zur Regierungsbildung abzulehnen. Die Verfassung sieht vor, daß der Staatspräsident der größten Fraktion im Parlament – und das sind im Augenblick die Sozialisten – den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt.
Bereits Anfang vergangener Woche hatte Stojanow angekündigt, der BSP das Mandat zu erteilen, sollte kein Kompromiß zustande kommen. In diesem Fall, so Stojanow, sollen die Menschen weiter auf die Straße gehen. Sogleich nach seiner Vereidigung am vergangenen Mittwoch hatte sich der Präsident um eine Lösung der innenpolitischen Lösung der Krise bemüht und wiederholt versucht, Vertreter von Opposition (ODS) und Regierung an einen Tisch zu bringen.
Die Spitzen von ODS und BSP kamen, der Kompromiß nicht. Unbeirrt hielten die Sozialisten an ihrer Forderung nach dem Mandat fest. Und an Innenminister Ivan Dobrew als Nachfolger des zurückgetretenen Premierministers Schan Widenow. Dobrew soll für das brutale Vorgehen von Polizeikräften gegen Demonstranten in der Nacht vom 10. zum 11. Januar verantwortlich sein.
Demgegenüber rückte auch die Opposition keinen Millimeter von ihrer Position ab: Neuwahlen so schnell wie möglich und für die Übergangszeit keine Regierung unter BSP-Vorsitz. Und so kam, was kommen mußte: Am Sonntag scheiterte ein letzter Vermittlungsversuch Stojanows. Zwar sind die Proteste gegen die BSP etwas abgeflaut, der Auftrag an die Exkommunisten könnte die Volksseele aber wieder zum Kochen bringen. Nicht zuletzt die Gewerkschaften machen Druck und wollen, sobald die Sozialisten den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, zum Generalstreik blasen. Eine Frau aus dem Streikkomitee der zweitgrößten und oppositionsnahen Gewerkschaft Podkrepa sagte: „Die Betriebe sind auf alles vorbereitet. Wir werden das ganze Land lahmlegen, auch um den Preis einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Schlimmer kann es nicht mehr werden.“
Unterdessen traf der Vorsitzende des Deutsch-Bulgarischen Forums, Gernot Erler, in Sofia ein. Der SPD-Bundestagsabgeordnete, dem das schlechte Wetter in der vergangenen Woche einen Strich durch die Reiserechnung gemacht hatte, bekräftigte bei einem Treffen mit Stojanow die Unterstützung Deutschlands für Bulgarien. Auch stellte er dem Balkanland humanitäre Hilfe in Aussicht. Deutschland werde diejenigen politischen Kräfte unterstützen, die ein klares Konzept für einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise hätten, sagte Erler weiter. Die Politiker rief er dazu auf, einen Konsens zu finden, um eine Zuspitzung der Lage zu vermeiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen