: Obst oder die krause Logik der Lüge
■ Chris Bell schreibt Kurzgeschichten über alltägliche Idiotie, Obst und sprechende Socken
Eine Aufziehpuppe, die ungefragt labert, eine Granatapfel-Romanze im Gemüseladen und ein Gemälde namens „Medium French white bread with two fried eggs on the plate without the plate, to a horse attempting sodomie with a piece of portuguese bread“ – erlogen sind diese Details allesamt. Wären sie das nicht, dann wäre der Name des Buches Schwindel: The Bumper Book of Lies heißt die Kurzgeschichten-Sammlung des Wahl-Hamburgers Chris Bell.
Zugegeben, die Logik ist kraus, aber Chris Bell ist ein Unlogiker. „Ich frage mich, wie viele Lügen ich erzählen muß, um die Wahrheit herauszufinden“, sagt der gebürtige Waliser. Und vermischt in seinen Geschichten Schwindel mit Autobiographischem plus Alltagsfrust. Die Handlung steht immer mit einem Bein auf dem Boden – das andere angelt nach dem Unsinn des Alltags, der Idiotie des Normalen. Ein Mann wird beim Aufstehen schräg von seinem Sofa angequatscht, na und?
Schließlich wollte ihn die Couch nur zum Arbeiten motivieren; womit die Geschichte wieder beim Autobiographischen wäre. „Ich bin ziemlich faul“, strahlt Bell. Nach Hamburg ist der Waliser 1983 eigentlich wegen der Musik gekommen, gemeinsam mit seiner Band. Kaum da, gab er das Gitarrenspiel auf, schrieb statt dessen Geschichten und arbeitete bei einem Musikverlag. Heiratete, lernte vom Fernsehen deutsch und antwortete auf die Frage, was er von Beruf sei, schlicht mit: „Student of life“.
Ein Diplom hätte er schon verdient für die Alltagsverdrehungen in seinen Geschichten. Aus dem Obsteinkauf einer Londonerin wird eine Fruchtexplosion, handgeschreinerte Holzmännchen bekommen Charaktermacken. Diese Figuren, ein Geschenk eines Freundes, sind von der Simszierde mittlerweile zu Symbolen für Individualismus aufgestiegen. „Sie sind alle ein bißchen uneben und völlig unterschiedlich“, lobpreist er die Bartmännchen.
Bells Charaktere treten oft auf der Stelle und sich selbst auf den Füßen herum. Zwanghaft kauft eine Frau sich durch eine Fruchtpalette, weil sie in den Obstverkäufer verliebt ist. Ein Mann redet mit seinen Strümpfen, denn die scheinen verläßlicher als Menschen. Vielleicht, weil alle Gestalten bei Bell so tragisch und absurd zugleich sind, jeden Moment kann etwas ihr Leben aus den Fugen heben. Strümpfe dagegen bleiben einfach Strümpfe.
Auch nach vierzig Absagen von Verlagen, denen er Geschichten zum Abdruck angeboten hat, wollte der 37jährige sie nicht ändern. „Ich weiß, daß mein Schreibstil anstrengend ist“, gibt er zu. Lange Worte, komplizierte Sätze, und keine deutsche Übersetzung. Mehr als ein Doppelpack der Geschichten wird selbst für Fans von Wortwickeln anstrengend.
Da hilft auch die passende Musik nicht, die laut dem 37jährigen für die richtige Stimmung zu seinen Geschichten sorgt. Die Bellsche Hitliste steht am Ende des Bumper Book of Lies, mit CD-Vorschlägen zu jeder Story: Pink Floyd, U2 und Frank Zappa ohne Ende. Von Zappa stammt auch der Satz, den sich Bell gedanklich übers Bett gehängt hat: „Anything, any place, any time, for no reason at all“. Gefühle, findet er, sind dazu da, befolgt zu werden. Im Juli will Chris Bell nach Neuseeland auswandern. Weil es ihm da im Urlaub so gut gefallen hat. So einfach ist das – eigentlich nicht logisch, irgendwie aber doch.
Judith Weber
„The Bumper Book of Lies“ gibt es für 20 Mark in der Heinrich-Heine-Buchhandlung und bei Art Crimes, beide an der Grindelallee
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen