: Babyjahre und Kriegsrenten
■ Stichwort „versicherungsfremde Leistungen“: Wer soll dafür zahlen? Streit in Politik und Verbänden
„Versicherungsfremde Leistungen“ ist das Schmähwort der Rentendiskussion. „Versicherungsfremde Leistungen“ sollen künftig nicht mehr aus den Taschen der Beitragszahler berappt werden, lautet die politische Forderung besonders der SPD. Die Frage allerdings ist: Was von den rund 300 Milliarden Mark Rentenzahlungen (1995) sind versicherungsfremde Leistungen? Das ist zwischen Fachleuten der Rentenversicherung umstritten.
Grundsätzlich gilt als versicherungsfremd, was nicht durch Beiträge an die Rentenkassen – in denen über 80 Prozent der Bundesbürger mit ihren Monatseinkommen bis zur Höhe von 8.200 Mark versichert sind – gedeckt ist. Und das ist eine ganze Menge. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) beziffert die versicherungsfremden Leistungen auf 102 Milliarden Mark im Jahr. Er rechnet vor allem Kriegsfolgelasten mit 23,5 Milliarden Mark (einschließlich der Fremdrenten mit 10 Milliarden Mark), die Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit, Krankheit und Ausbildung (15,5 Milliarden) und vorgezogene Altersrenten vor dem 65. Lebensjahr (18,7 Milliarden) dazu.
Ebenfalls in der VDR-Rechnung enthalten sind Leistungen der Kindererziehung (6,4 Milliarden), Auffüllbeträge für den Bestandsschutz bei Renten in den neuen Bundesländern (5,4 Milliarden) sowie Erwerbsunfähigkeitsrenten wegen der Arbeitsmarktlage (5,3 Milliarden).
102 Milliarden Mark, rund ein Drittel der Rentenzahlungen, sind demnach „versicherungsfremde Leistungen“. Der Vorwurf der VDR lautet: Der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung betrage nur rund 60 Milliarden Mark pro Jahr. Somit blieben rund 43 Milliarden Mark ungedeckt.
Der oberste Rentenberater der Bundesregierung, der Vorsitzende des Sozialbeirats, Prof. Winfried Schmähl, geht noch weiter als der VDR. Er rechnet auch die Hinterbliebenenrenten zu den nicht durch Beiträge gedeckten Leistungen. Denn an Witwen und Witwer zahlt die Rentenversicherung mit 60 Milliarden Mark jährlich 22 Prozent ihrer Gesamtausgaben. Auch dann, wenn die RentnerIn nie einen Pfennig Beitrag gezahlt hat.
Der SPD-Sozialexperte Dreßler und der Sozialverband VdK nehmen nicht alle vom VDR genannten Positionen in ihre Liste auf. Sie beziffern die nicht durch den Bundeszuschuß gedeckten versicherungsfremden Leistungen auf jährlich 30 Milliarden Mark.
In der Diskussion um die Finanzierung der beitragsfremden Leistungen aus Steuermitteln konzentrieren sich Politiker aller Parteien auf die Kindererziehungszeiten. Die in der VDR-Rechnung enthaltenen 6,4 Milliarden Mark decken dabei lediglich die bisher anfallenden Kosten. Ab 1992 gelten drei Erziehungsjahre je Geburt. Sie werden die Rentenkassen später mit 15 Milliarden Mark jährlich belasten. Dieses Geld soll künftig vielleicht aus einer steuerfinanzierten „Familienkasse“ kommen.“ dpa/taz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen