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Brit-Beck mit Blähwampe

■ Der Homerecorder Steven Jones hat als Baby Bird plötzlich Chartserfolg

Es ist schon ein starkes Stück, wen sie heutzutage alles als Popstar einstellen. Steven Jones alias Baby Bird verläßt nach einem Plattenkauf den Laden immer nur alleine, weil er Angst hat, jemand neben ihm könnte durch gestohlenes Gut die elektronische Diebstahlssicherungen auslösen, so daß man ihn für den Täter hält. Der Mann, den sie „kleiner Vogel“ nennen, ist von ängstlicher Natur. Und noch immer schämt er sich dafür, daß er neulich bei seinem Auftritt in „Top Of The Pops“ einem Verantwortlichen den Rücken zugekehrt hat, während der mit ihm gesprochen hat.

Vielleicht ist Steven Jones ja einfach noch nicht so geübt in seinem neuen Job. Denn den mußte er beinahe aus heiterem Himmel antreten, und niemand hat ihm vorher gesagt, wie das geht, das Popstarsein. Schließlich war er noch bis kurz vor Weihnachten ein Homerecorder reinsten Wassers. Der Endzwanziger hat das Kunststück vollbracht, innerhalb von wenigen Monaten in vollkommener Eigenregie ein paar CDs herauszubringen, die in ihrer Summe „Lebenswerk“ genannt werden müssen.

Gut 400 Songs hatten sich bei Steven Jones bis 1995 angesammelt. Auf sechs CDs, die alle eine bestimmte Etappe des Lebens darstellen, sollte ein Teil von ihnen erscheinen. Die erste zum Beispiel trägt den sinnigen Titel I Was Born A Man. Die dritte und beste heißt Fatherhood und zeigt auf dem Cover den Künstler, der seine Blähwampe in die Kamara hält.

Auf vier Spuren hat Steven Jones alleine seine Pop-Songs eingespielt, mit krächzenden Keyboards und viel Hall. Das brachte ihm den Ruf ein, Britanniens Antwort auf Beck zu sein. Gerade wollte man ihm bei seinen rührenden Flugversuchen zurufen: Gib acht, kleiner Vogel! Da machte Baby Bird auf Thunderbird und donnerte mit seiner Single You're Gorgeous auf Platz drei der englischen Charts. Denn auf einmal war Baby Bird nicht mehr das alleinige Projekt eines komischen Vogels, sondern eine Pop-Band.

Nach The Happiest Man Alive nämlich, dem vierten Werk in Heimarbeit, verwarf Steven Jones aufgrund euphorischer Pressereaktionen die Idee des ultimativ angelegten CD-Serials und engagierte ein paar amtliche Musiker, mit denen er in ein 48-Spur-Studio ging. Schön bescheuert, denn Ugly Beautiful, das so entstandene Album, kann an keinen der limitierten Vorgänger anschließen und geht mit seinem theatralischen Bombast ganz schön auf den Senkel. Auch wenn eingestanden werden muß, daß jetzt einsame Schulmädchen und gelangweilte Hausfrauen und wer sonst noch so vor dem Main-stream-Radio rumlungert, einen Refrain mitflöten, der lautet: „I'm too handsome to be homeless.“ Okay, ein bißchen subversiv ist er schon, dieser Popstar. C. Buß

Mo, 3. Februar, 21 Uhr, Logo

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