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Hemelinger Krokodil

■ Übersee-Museum zeigt: „Bremen. Die Weinmetropole im deutschen Norden

öttlicher Wille muß es sein, daß Bremen an der Weser schon seit 350 Jahren europaweit zu den bedeutendsten Weinmetropolen zählt. Zugegebenermaßen fallen hier die Hanglagen wenig ins Gewicht, umso schwerer aber wiegt der Handel: Bremen hat als Umschlagplatz für hochkarätige Weine mindestens das Öchslegewicht einer Beerenauslese.

Belege dafür finden sich in Fülle bei der Ausstellung „Bremen. Die Weinmetropole des Nordens“, die heute im Übersee-Museum eröffnet wird und eine seit dem 20. Januar in der Sparkasse am Brill laufende Schau ergänzt. Während diese sich mehr mit dem Getränk Wein, mit seiner Kunst- und Kulturhistorie und seinem Genuß beschäftigt, bietet das Übersee-Museum tiefe Einblicke in die Bremer Handelsgeschichte des Weines und in die damit verbundenen Handwerke.

Die Einfuhr edler Tropfen aus Bordeaux in die Hansestadt begann Mitte des 16. Jahrhunderts zunächst als Beiladung. Die Schiffsrümpfe waren gefüllt mit Kolonialwaren aller Art, Wein aber erfreute sich, anders als in den Niederlanden, in Bremen noch keiner großen Beliebtheit. Der entscheidende Einstieg der Hansestädte begann mit Ausbruch des Holländischen Krieges. 1672 übernahmen 100 hanseatische Kaufleute, darunter auch neun Bremer Schiffe, die niederländische Weinhandelsflotte. Von nun an ging's bergauf:

Weine aus Bordeaux entwickelten sich in Bremen und umzu zum Volksgetränk. Mitte des 18. Jahrhunderts zählte man in Bremen bereits 47 Weinhändler, knapp 100 sind es 17 Jahre später. In Bordeaux stellten die aus den Hansestädten stammenden Kommissionäre die größte ausländische Kaufmannskolonie. Der Handel entwickelte sich schwunghaft, und Bremen hatte es als Wein-Umschlagplatz nach Skandinavien, Rußland und natürlich dem heimischen Hinterland im 20. Jahrhundert zu internationalem Ansehen gebracht.

Göttlicher Wille, schließlich überlebte die „Weinstadt des Nordens“ nicht nur die 1860 aus Nordamerika eingeschleppte Reblaus, nein, sie verteidigte ihren Ruf auch erfolgreich gegen die 1970 erlassene EG-Verordnung mit der Freigabe aller Einfuhren innerhalb der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Es gab zwar harte Einbrüche im Geschäft, doch statt Quantität lieferte Bremen bis heute höchste Qualität.

Die kam an, denn inzwischen hatten auch die Deutschen gelernt, Wein zu trinken. Mitte der 60er begannen sie, im Wein mehr zu sehen als „die gute Spätlese“, die dem Besuch zu Ehren nebst Knabbergebäck geöffnet wurde. Sie hatten sich von den Süßreserven, den „Lollies des Wirtschaftswunders“ verabschiedet, erklärt Dr. Hartmut Roder, Leiter der Abteilung Handelskunde im Übersee-Museum und Initiator der Ausstellung. Auch die letzten WeintrinkerInnen wendeten sich nach dem Panschskandal Mitte der 80er eher dem hochwertigen Wein zu.

Und darauf sind die fünf Weinhändler, die es in Bremen noch gibt, spezialisiert. In nüchternen Hochregalen stapeln sie die fruchtigen Köstlichkeiten aus aller Welt: Diese entstammen französischen, italienischen, spanischen und immer häufiger auch überseeischen Anbaugebieten. Dort werden sie auf Flaschen gezogen und gelangen auf LKWs oder per Bahn in die Hansestadt. Für den nur in geringen Mengen importierten billigen Industriewein nutzt man eine Pipeline im Überseehafen.

Dort unterm Stutzen zu liegen, ist des Säufers Traum. Der Gourmet freilich geht in den Bremer Ratskeller. Hier werden Schätze gesammelt, vorwiegend Weißweine. Der älteste stammt aus dem Rüdesberg des Jahres 1653. Solche Weine allerdings sind nicht mehr käuflich, sondern werden für PR-Kampagnen zum Zwecke des Ruhmes des göttlichen Nektars genutzt. Käuflich aber sind andere hochwertige Weine, und so hat sich der Ratskeller mit seiner langen Tradition zu dem Weinhaus Deutschlands entwickelt.

„Wir müssen uns unseren Lüsten stellen“, erklärt Hartmut Roder mutig die Ausstellungsidee. Allerdings scheinen die BesucherInnen der Sparkasse vorrangig andere Interessen zu haben: Sie streben zu den EC-Geräten, um, vom Kontostand ernüchtert, von dannen zu ziehen. Kaum ein Blick auf die barocken Pokale, die opulenten Kelche, die kunstvollen Karaffen; die Zapfhähne von dunnemal, Etiketten und Gläser von heute.

Die Ausstellung des Übersee-Museums lockt indes durch Geschichte zum Anfassen: Die Exponate folgen dem Weg der Traube bis hin zur Flasche oder ins Faß; die Böttcherkunst wird vom letzten Faßmacher Bremens präsentiert, und urige Ausstellungsstücke wie der „Drogenkoffer“ oder gewisse Bremensien wecken die Neugier nach mehr: Einer alten Tradition folgend erhält ein vom Volke gewählter Politiker hier keine Orden oder Jubiläumsgeschenke, er erhält vielmehr eine Kiste Wein aus dem Ratskeller. Unvorstellbar in Bremen gar wäre ein Schaffermahl oder eine Schiffstaufe ohne Wein.

Unvorstellbar auch Bremen ohne sein Weinanbaugebiet in Hemelingen: Am dortigen Kraftwerk nämlich produziert Weinbauer Hummel seit 40 Jahren seine Bremer Spätlesen. „Das Hemelinger Krokodil“ soll schon zu überregionaler Bedeutung gefunden haben. All dies und noch viel mehr erfährt man im Übersee-Museum. Und wem das zu trocken ist, der darf außerdem mit Profis guten Wein riechen, schmecken und verkosten. Prösterchen. Dora Hartmann

Ausstellung bis zum 30.3. Das interessante Begleitbuch kostet während der Sparkassen-Ausstellung 25, danach 38 Mark.

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