piwik no script img

Doch kein Stinknormalo

Kür der schönsten Misses und Mister Germany im Friedrichstadtpalast: Der männliche Sieger heißt Michael Lisius und kommt aus Rheinland-Pfalz  ■ Von Nathalie Daiber

Ja, Mister Germany ist schön. Er hat die Maße 105-80-100, ist 1,90 groß, ist kahl rasiert und schwarz. Sein größter Wunsch: „Einmal Nelson Mandela treffen, weil er zwanzig Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen hat.“

Der 23jährige Michael Lisius, Mister Rheinland-Pfalz und jetzt gekürt als Deutschlands schönster Mann, bricht mit seinem Bekenntnis die heile, sterile Serienwelt der Konkurrenz. Aber bei den Männern ist das auch erlaubt: „Wir sind Anhängsel der Mißwahlen“, beschreibt leicht beleidigt Mister Thüringen alias Christian Kuchenreuther die Mister-Lese. So sind die 23 Männer auch unterschiedlicher als die Frauen: Lang- oder kurzhaarig, 16 oder 33 Jahre alt, klein oder groß, hell oder dunkel. Aber alle haben das gleiche Hobby: Fitneß und Sport – nur Mister Bremen kocht auch gern, was ein entzücktes „oh!“ im Publikum hervorruft –, und auch das Betriebswirtschaftsstudium ist die Regel.

Die 23 Misses dagegen sind alle langhaarig, zumeist blond, aber nur eine studiert. Die männlichen Körper erinnern an aufgereihte Ken-Puppen, die männliche Barbie, in den Badeanzügen am Rand des Schwimmbeckens des Friedrichstadtpalasts. Muskeln anspannen, die Jury anlächeln – unter ihnen Heinz Schenk – und die Rasierklingen unter den Armen nicht vergessen. Aber die Blicke sind unsicher, die Haltung ist etwas linkisch – so ganz haben sich das Publikum noch nicht an das Bild der männlichen Schönheitskönige gewöhnt, und auch diese fühlen sich in ihrer Haut unwohl.

„So ausgiebig wie mit den Mädchen ist mit uns nicht geübt worden“, sagt der 23jährige Christian Kuchenreuther aus Gera – mit sächsischem Akzent. Eigentlich wollte er ja nicht, er hat sich von den Veranstaltern überreden lassen. „Ist ja eigentlich Frauensache.“ Deshalb hat er auch kaum jemandem von seiner möglichen Krönung erzählt – gerade mal seinem besten Freund. Aber das Fieber hat ihn dann doch gepackt: „Einmal im Rampenlicht stehen vor so vielen unbekannten Menschen, das gibt einem einen richtigen Kick!“

Deswegen sind alle da – das Rampenlicht hat magische Kräfte: Einmal aus der Masse herausstechen, einmal zu den Schönen aus dem Fernsehen gehören, die „anonyme Öffentlichkeit“ (Mister Thüringen) gibt den Hype. Miss Thüringen, Annett Gründel, hingegen hat schon genug davon: „Ich habe Angst vor Interviews. Wenn ich mich auf der Bühne reden höre, ist das furchtbar.“

Vier Sätze werden bei der KandidatInnenvorstellung aus dem Off eingespielt: Name, Alter, Herkunft und Beruf. Ansonsten sprechen die 46 Mister und Misses bei dem Wettbewerb nicht. „Ihr Frauen sagt das doch nur, weil ihr hören wollt: Du machst das schon, du bist intelligent“, erwidert Christian Kuchenreuther. Er hätte gern noch mehr auf der Bühne gesprochen. Aber die 18jährige Annett wirkt wirklich verunsichert und genervt: „Ich will deswegen auch gar nicht mehr gewinnen!“ Dennoch bleibt ihr größter Wunsch, mal in einem Monumentalfilm mitzuspielen: wegen der Kleider. „Auf der Bühne mußt du halt schauspielern und locker wirken, auch wenn du dich gar nicht so fühlst!“ Mister Thüringen wirkt trotz Übens vor dem Spieglein an der Wand noch immer schlaksig und unbeholfen. Während die meisten der Frauen gekonnt den Hintern schwingen, haben die Herren zu Mittag einen Besenstiel genossen. Nur Michael Lisius läuft zwar nicht wie ein Model, sondern ganz normal breitbeinig.

„Als ich das Schönheitspaar 1996 gesehen habe, dachte ich nicht, daß ich in die Auswahl komme. Die waren alle so typisch deutsch!“ Aber der neue Mister Germany und Wirtschaftsstudent wollte gewinnen. Er will Model werden. Und so weint er auch, als er die Schärpe umgehängt bekommt. Krönchen bekommen nur die Frauen. Dunja Rajter, Schlagersängerin und Moderatorin, wischt Mister Germany mütterlich die Tränen von der Wange. Aber er hält Distanz zu der über 50jährigen Schönheit. Wie die Jugend trägt sie das Gesicht faltenlos glatt und ein bauchfreies Top. Im Gegenlicht der Scheinwerfer zeichnen sich nur am Bauch die Runzeln ab, als sie singt: „Ich überleb's!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen