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Gekräuselte Kettenraucherprosa

Lesen gefährdet die Gesundheit: Adolf Endlers Reisebuch „Warnung vor Utah“ ist ein einziges Wehklagen über die strikten Antirauchergesetze in den Vereinigten Staaten  ■ Von Peter Walther

Breit wachsen die Hosenbeine empor, über dem Gürtel, vom Hemd kaschiert, die sanfte Wölbung des Bauchs, die Hände lauernd auf dem Rücken, darüber das bärtige Antlitz des Dichters, mafiotisch mit einer Sonnenbrille verhangen, als Krönung ein Basecap auf dem Haupt: Adolf Endler auf Reisen in den USA.

Doch halt, fehlt nicht etwas, vielleicht das Wichtigste? Schaut man genauer aufs Cover von Endlers Reisebuch, vertieft man sich etwa in die Betrachtung jener Stelle, wo der Schatten der Schirmmütze schräg über den linken Mundwinkel des Dichters fällt, kann die perspektivisch verkürzte Form einer bockwurstfarbenen, daumendicken Zigarre nicht übersehen werden. Sie werden sagen: Eine dem detektivischen Eifer und der Originalitätssucht des Rezensenten entsprungene Entdeckung, eine Marginalie vielleicht. Sie ahnen jedoch nicht, hier dem Schlüssel für das Verständnis von Endlers USA-Reisebuch „Warnung vor Utah“ bereits dicht auf der Spur zu sein. Denn das Rauchen, oder besser das Rauchverbot, ist jenes Motiv, das, um es mit Endlerschen Worten zu sagen, das 139-Seiten- Opus „schwanzwedelnd durchstreunen wird“.

Wir alle erinnern uns mit Genugtuung, wie im Verlauf der letzten Jahre die stinkenden Zumutungen der Raucher im privaten und öffentlichen Umgang mit der nichtsüchtigen Bevölkerung endlich auch zum Thema von Gesetzesdebatten wurden. Nacheinander beschlossen die USA und Frankreich, deren zivilisatorischer Vorsprung zu unserem Land notorisch ist, das Rauchen in öffentlichen Räumen einzuschränken und teilweise ganz zu untersagen. Ein Jaulen, Heulen und Zähneklappern ging damals durch „Presse, Funk und Fernsehen“. Als später Nachhall dieses Jammerchors ist nun die Brandrede Endlers gegen das amerikanische Rauchverbot entstanden. Schon im Flugzeug über Grönland geht das Gejammere los und geht die ganze Reise unvermindert weiter. An diesen Grundton muß man sich gewöhnen wie an das lästige Fiepen eines Mittelwellesenders. Doch was wäre „Mr. Andeler“ ohne Zigarre? Zugegeben, ein gewagter Vergleich, aber ist nicht jener verwurstelt-gerollte und -gekräuselte Umgang, den der Dichter mit der Sprache pflegt, ein genaues Abbild der geliebten Zigarre? Endler reist – gemeinsam mit seiner Frau – Tausende Kilometer weit zum Arche-Nationalpark. Und was sieht er? „Hunderte von Felsblöcken nebeneinander, hintereinander, weit geöffnete oder breit gezogene unterschiedliche Münder, manche noch fabelhaft intakt, andere schon recht greisenhaft und zerfallend, sie alle aber wie in Erwartung der unter Umständen interstellaren riesigen Zigarre, die von Sturmes Hand in sie hineingesteckt werden möge.“

Von San Francisco über Las Vegas, Salt Lake City, nach New Mexico und zurück nach San Francisco führt – in groben Zügen – die Via Dolorosa des Kettenrauchers. Die Literaturtouristen zieht es unter anderm in die Montery Bay, wo sie in einem Gebirgsort namens Big Sur eine Lesung in der Henry- Miller-Library besuchen. Die Lesung wird vorbereitet „mit allerlei psychischen und physischen Lockerungsübungen; die Autorin und Künstlerin, aus der Universitätsstadt Berkeley angereist, klatscht ermahnend und auffordernd in die Hände; man wird dazu ermuntert, sich an den Händen zu fassen und einen Kreis zu bilden.“ Die Autorin gibt zu erkennen, „daß ihr kein anderer als Henry Miller mehrmals im Traum erschienen ist und ihr zugeredet habe, sich unter dem Pseudonym SARK der Menschheit zu offenbaren, ein Ratschlag der mir vollkommen un-millerisch erscheinen will.“ Dann wird der Handzettel „How to be an artist“ herumgereicht: „Ein ganzer Blumenstrauß der beherzigenswertesten Winke, den SARK dem unsicher Suchenden entgegenstreckt. Eine kleine Auswahl: ,Halte dich locker... Lerne es, Schnecken zuzuschauen... Bastle kleine Zeichen, die Ja bedeuten, und verteile sie überall im Haus‘...“ Nur gut, daß niemand auf die Idee kam, den Handzettel „How to be a nonsmoker“ in die Runde zu geben. Vielleicht hätte „Mr. Andeler“ dann Ratschläge befolgen müssen wie „Swinge, so toll du kannst zu einem Swingset im Mondlicht... Entwickle Launen (...) Nimm Mondbäder... Bemale die Wände... Kichere mit den Kindern.“

Sollten Sie irgendwann einmal auf den vom Vollmond erhellten Straßen des Berliner Stadtbezirks Friedrichshain einem kichernden Mann mit Spraydose begegnen, abwechselnd sprühend und tanzend – rufen Sie nicht die Polizei, es sind Entzugserscheinungen. Was sonst als Entzugserscheinungen mochte Brigitte und Adolf Endler dazu bewogen haben, am „Selbsterfahrungsgeplansche“ in der Henry-Miller-Library teilzunehmen? Wie anders ist es zu erklären, daß sich der ganze Spuk nach einigen kräftigen Zügen Zigarrenrauchs in stinkende Luft auflöste? Man könnte noch viel schreiben über die zumeist skurrilen Erlebnisse und Betrachtungen des Kettenrauchers, eines bliebe am Ende jedoch immer zu sagen: Dieses verführerisch-unterhaltsame Buch ist nicht mit der Feder, sondern mit der Zigarre geschrieben, und auf dem Umschlag sollte in großen Lettern die Warnung prangen: Lesen gefährdet die Gesundheit. Sollte es der interessierten Öffentlichkeit oder der privaten Umgebung nicht gelingen, der Sucht des Dichters Einhalt zu gebieten, scheint eines so gut wie sicher: Das nächste Buch von Endler wird auf drei Dutzend virginischer Tabakblätter gedruckt erscheinen.

Adolf Endler: „Warnung vor Utah. Momente einer USA- Reise“. Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1996, 139 S., 28 DM

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