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Den Mann dekonstruieren

Von lesbischen Drag-Kings und Kessen Vätern. Die Demontage von gängigen Geschlechterrollen hat eine befreiende Wirkung  ■ Von Dorothee Winden

Ein Kerl im Trenchcoat und Hut betritt das Stahlgerüst über der Tanzfläche. Eine Strip-Show, Samstag nacht in Berlin-Kreuzberg. Das Publikum der Queer Party im SO 36 verfolgt gespannt, wie der Kerl lässig den Trenchcoat wegwirft, sich der Krawatte entledigt und langsam das weiße Hemd aufknöpft. Die Lesben grinsen wissend, die Schwulen sind völlig in den Bann gezogen. Erst als der Stripper nur noch Boxershorts und Leibchen trägt, fällt es auch den Schwulen wie Schuppen von den Augen: Der Kerl ist ein Mädel.

Eine Straßenecke weiter, im Café eines selbstverwalteten Frauenzentrums, sitzt eines Nachmittags eine attraktive Frau im knallgelben Minirock. Eine lesbische Besucherin flirtet mit der unbekannten Schönen. Und fällt aus allen Wolken, als sie später erfährt, daß sie der perfekten Maskerade eines Transvestiten aufgesessen ist. Wer rechnet schon damit, daß sich Tunten in Frauencafés einschmuggeln.

Die spielerische Demontage der Geschlechterkategorien ist seit jeher eine Domäne von Lesben und Schwulen. Die Auflösung der Geschlechterrollen ist die Befreiung aus einem gesellschaftlichen Korsett. Kleidung spielt dabei eine zentrale Rolle. Dabei wird der lesbische Griff nach Männerklamotten meist gründlich mißverstanden. Es ist keineswegs die Imitation des heterosexuellen Mannes, sondern seine Dekonstruktion.

Im Berlin der zwanziger Jahre dienten die männlichen Textilien als Erkennungszeichen. Lesben signalisierten damit ihre Gruppenzugehörigkeit, und, noch wichtiger, ihr sexuelles Begehren. Das Tragen von Männerkleidung drückte den Widerstand gegen heterosexuelle Normen und die damit verbundenen Einschränkungen für Frauen aus. In den USA wurde das Tragen von Männerkleidern bis in die fünfziger Jahre sanktioniert: Wer bei einer Razzia der Sittenpolizei in den Lesbenbars nicht mindestens drei weibliche Kleidungsstücke vorweisen konnte, mußte mit Festnahme rechnen.

Noch lange vor der Debatte um die Auflösung von sozialen Geschlechterrollen in den neunziger Jahren lösten die Kessen Väter oder Butches, so der englische Begriff, die Geschlechterrollen praktisch auf. Sie waren der Inbegriff der Weigerung, gesellschaftliche Grenzen zu akzeptieren.

Das Gegenstück zum Kessen Vater ist die Femme. Doch ebensowenig wie der Kesse Vater ein Abbild des heterosexuellen Mannes ist, ist die Femme eine Kopie der heterosexuellen Frau. Die Femme definiert Weiblichkeit neu. Oder wie es die US-amerikanische Schriftstellerin Jewelle Gomez ausdrückt: „Femmes besetzen einen stereotypen Ort in einer nicht- stereotypen Art und Weise.“

Paradoxerweise wirkte das äußerliche Erscheinungsbild von Butch-Femme-Paaren der fünfziger Jahre eher wie eine Kopie des traditionellen Heteropaares. Solch oberflächliche Interpretationen führten dazu, daß das Butch-Femme-Konzept in den siebziger Jahren von der Lesbenszene als patriarchal verteufelt wurde. So stark der Gruppendruck in den vierziger und fünfziger Jahren gewesen war, sich als Butch oder Femme zu definieren — in den siebziger Jahren waren diese Rollen verpönt.

Zur selben Zeit wurden auch die heterosexuellen Geschlechterrollen aufgeweicht. In einer Zeit, in der Männer lange Haare trugen und Frauen Jeans, war das Tragen von Männerklamotten als Provokation obsolet.

Seit den achtziger Jahren verwischen sich die Grenzen zunehmend. Die wenigsten Lesben sehen sich, wenn überhaupt, nicht als hundertprozentige Butch oder Femme, sondern integrieren beides in ihrer Person.

Die britische Fernsehsendung „Dyke-TV“ machte kürzlich die Probe aus Exempel: Vor einem Londoner Nachtclub konnten Lesben auf einer Skala von 1 bis 10 ihre ganz persönlichen Werte für ihre Butch- und Femme-Anteile bestimmen. Das Ganze war eine Riesengaudi und sehr erhellend. Auch wenn viele Frauen eine stärkere Präferenz für Butch oder Femme zeigten, wählten sie häufig auch mittlere Werte beim Gegenstück: die Dekonstruktion der Dekonstruktion.

Auch eine Variante des Kessen Vaters erlebt in den neunziger Jahren ein Revival: der Drag-King, die Lesbe, die den heterosexuellen Mann auf der Bühne imitiert. Als Gentleman mit Macho-Allüren persifliert sie das männliche Geschlecht mit all seinen Schwächen: aufgeblasen, wichtigtuerisch und machtbewußt — richtige Kotzbrocken eben und zugleich ein Klischee.

Doch ist der Drag-King keineswegs ein Produkt der neunziger Jahre. Im New York der vierziger Jahre traten Drag-Kings und ihr schwules Pendant, die Drag- Queens, im Varieté auf. Sie unterhielten ein überwiegend heterosexuelles Publikum mit Gesang und Tanz. Die historischen Ursprünge der Männer-Darstellerinnen reichen in Großbritannien und den USA sogar bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Während sich schwule Travestie-Shows bis in die Gegenwart halten konnte, verschwanden die Männerdarstellerinnen von der Bühne. Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren.

Doch inwiefern tragen solche Rollenspiele tatsächlich zur schleichenden Auflösung der Geschlechterrollen bei? Der Gewinn solcher subversiven Rollenspiele für Frauen ist offensichtlich. Die spielerische Aneignung von sogenannten männlichen Eigenschaften dient der selbstbestimmten Erweiterung der Persönlichkeit. Es ist ein spielerischer Umgang mit Macht, ein Sichausprobieren.

Für die Männer fällt die Bilanz solcher Rollenexperimente bei weitem nicht so positiv aus. Die handtaschenschwingende Tunte ist auch in der Schwulenszene Ziel von Spott. Wer beim nächtlichen Cruising nicht wie ein Kerl daherkommt, hat wenig Chancen. Solange bei aller vordergründigen Gleichberechtigung das Geschlechterverhältnis immer noch von Dominanz und Unterwerfung geprägt ist, ist es für den heterosexuellen Mann wenig attraktiv, mit der Frauenrolle zu experimentieren. Ein vielversprechender Ansatz zur Dekonstruktion von Gender ist der heterosexuelle Mann als Damenbesetzung daher nicht. Der Stoff reicht allenfalls für Komödien im Stile von „Tootsie“.

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