: „Schnell verarbeiten“
■ Heute beginnt die Regionalliga. Daß Oliver Möller mit Lurup dabei sein kann, ist nicht selbstverständlich. Vor drei Jahren wurde der Kicker Opfer eines Messerattentats
Auf wen die Frau einstach, wußte sie nicht. Die taubstumme Täterin hatte ihr Opfer zuvor noch nie gesehen. Daß es gerade Oliver Möller traf, vor gut drei Jahren – Pech, Schicksal, Zufall?
Es war am 12. Januar 1994, einem Mittwoch. In der Hanns-Martin-Schleyer-Halle läuft gerade das erste Halbfinale beim Hallenfußballturnier des VfB Stuttgart. Die Spieler des HSV sitzen auf der Tribüne, verfolgen das Geschehen auf dem Feld und bereiten sich auf ihr eigenes Spiel vor. Da nähert sich von hinten eine junge Frau und sticht Oliver Möller in den Rücken. Acht Zentimeter tief, stellen die Ärzte bei der Untersuchung fest.
Sie habe auf sich aufmerksam machen und einmal in ihrem Leben im Mittelpunkt stehen wollen, gibt die Frau später beim Verhör an. Das Messer-Attentat auf die Tennisspielerin Monica Seles habe sie auf die Idee gebracht.
Nur einmal noch hat Möller die Attentäterin wiedergesehen, bei der Gerichtsverhandlung. Das Urteil: Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. Rückblickend äußert sich der inzwischen 28jährige vorsichtig zu seinen Gefühlen: „Zunächst war sicherlich ein bißchen Haß dabei, aber ich habe schon damals gesagt: Gegenüber solchen Menschen kann man nur Mitleid empfinden.“
Vielleicht ist der gelernte Banckaufmann auch deshalb so milde gestimmt, weil das Attentat zumindest äußerlich keine großen Spuren hinterlassen hat. Möller mußte seine Karriere nicht beenden, er konnte weiter Fußball spielen. Und wie sieht es im Inneren aus? „Ich nehme auch an Hallenturnieren teil“, sagt Möller.
Von Anfang an hat er versucht, nicht in ein seelisches Loch zu fallen wie Monica Seles. „Ich habe mir alle Zeitungen gekauft und die Artikel über meinen Fall gelesen, um möglichst schnell alles zu verarbeiten.“ Großen Rückhalt gaben ihm Familie und Lebensgefährtin, die sofort nach Stuttgart gekommen war. Zuspruch erhielt er auch vom VfB Stuttgart. Dessen damaliger Manager, Dieter Hoeneß, besuchte ihn, auch der Geschäftsstellenleiter.
Enttäuscht war Möller hingegen von seinem Verein, dem HSV. Chefcoach Benno Möhlmann rief ihn ein einziges Mal an. Der Amateurtrainer Felix Magath hielt nicht einmal dies für nötig. Präsident Ronald Wulff schickte immerhin ein Fax. „Da stand drin, man werde mich nicht wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Als ich wieder gesund war, kam die böse Überraschung.“
Statt – wie versprochen – „volle Unterstützung“, gab es den Rausschmiß: Möllers Kontrakt als Vertragsamateur wurde nicht verlängert. Der Manndecker kehrte zu seinem Stammverein zurück, dem SV Lurup. Er habe stets vorgehabt, wieder an der Flurstraße zu spielen, „wenn ich es nicht schaffen sollte, mich im Profigeschäft zu etablieren“. Daß ihm das nicht gelungen ist, empfindet Möller nicht als Schmach: „In der Regionalliga ist es auch ganz schön.“
Noch schlimmer als die Reaktionen des HSV findet er im Nachhi-nein nur das Verhalten der Medien. „Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, mußte ich eine Pressekonferenz abhalten, sonst hätten die mir zuhause die Tür eingerannt.“ Besonders weh taten ihm die Journalisten, die mitten im größten Schmerz das Haus seiner Eltern belagert hatten.
Einladungen zu Fernsehauftritten lehnte Möller kategorisch ab, denn er hatte keine Lust, sich zur Belustigung der Massen vorführen zu lassen. Gottschalk Late Night mußte deshalb ohne Möller stattfinden. In N3 sollte er auftreten, doch auch daraus wurde nichts. „Als ich sagte, ich verlasse am Samstag das Krankenhaus, meinten die: ,Ja schön, dann können Sie ja Sonntag ins Studio kommen.' Ich habe gedacht, die sind alle bekloppt.“
Großes Aufsehen wollte Möller auch vermeiden, „weil ich dann der Täterin genau die Plattform gegeben hätte, die sie sich erhofft hatte.“ Auch Nachahmungstäter wollte er nicht animieren. „Die Presse, das Fernsehen haben das ja erst ermöglicht“, meint Möller heute.
Eberhard Spohd
Die Spiele der Hamburger Regionalligisten am ersten Spieltag nach der Winterpause: Herzlake – Concordia (heute um 20 Uhr), Norderstedt – Altona 93, St. Pauli (A) – HSV (A) und Lurup – Delmenhorst (alle Sonntag um 14.30 Uhr)
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