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Zwangstherapie für Sexualtäter

■ Die französische Regierung beschreitet neue strafrechtliche Wege: Nach dem Knast geht es weiter zum Therapeuten

Paris (taz) – Die Sexualverbrechen im benachbarten Belgien haben die Franzosen schockiert und für das Thema sensibilisiert. Dafür sind die seither quer durch das eigene Land aufgedeckten Fälle von Kindesmißbrauch ein deutliches Zeichen. Zuletzt sorgten die Ermittlungen über eine Großfamilie in der nordfranzösischen Region Nord-Pas-de-Calais – wo Eltern, Onkel und Tanten unter dem komplizenhaften Auge der Großmutter die Kinder der eigenen Familie mißbrauchten – für Entsetzen.

Unter dem frischen Eindruck der Enthüllungen hat die französische Regierung am Mittwoch ein Gesetzesvorhaben beschlossen, das seit Monaten in der Diskussion war und eine ganz neue Bestrafung für Sexualverbrechen vorsieht. Danach können Sexualverbrecher zusätzlich zu ihrer Haftstrafe zu einer therapeutischen Zwangsbehandlung – ausdrücklich auch ohne ihre Zustimmung – verurteilt werden. Die Zwangsbehandlung, die je nach Expertenurteil sowohl Psychotherapie als auch Hormongaben enthält, soll sich an die Haftstrafe anschließen. Die Länge dieser „medizinisch-sozialen Betreuung“ richtet sich nach der Höhe der vorausgegangenen Gefängnisstrafe – bei Sexualdelikten kann die Behandlung bis maximal fünf Jahre dauern, bei Sexualverbrechen bis maximal zehn Jahre.

Über die Zwangsbehandlung entscheidet das Gericht gleichzeitig mit der Gefängnisstrafe. Voraussetzung ist eine medizinische Expertise über den Angeklagten. Eine Zwangsbehandlung während des Gefängnisaufenthaltes ist in dem Gesetzentwurf ausdrücklich ausgeschlossen.

1994 war in Frankreich bereits ein Gesetz in Kraft getreten, das die Möglichkeiten einer frühzeitigen Haftentlassung von Sexualstraftätern und anderen Schwerverbrechern einschränkte. Gleichzeitig wurden für diese Täterkategorien bessere Therapiemöglichkeiten gefordert. Ein Psychiater legte Anfang Januar der Regierung eine Untersuchung vor, wonach von 176 untersuchten Sexualstraftätern in französischen Gefängnissen ein Drittel nach eigenen Angaben entweder selber in der Kindheit sexuell mißbraucht oder in anderen Weisen unter schweren familiären Problemen gelitten hätten. Der Gerichtspsychiater Michel Dubec glaubt in einem Intreview mit Le Monde, daß die Behandlung gegen den Willen des Verurteilten, ihm „paradoxerweise helfen kann“. dora

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