: Von Abrüstungsimpulsen keine Spur
■ Pariser Abgeordnete erregt über deutsch-französisches Verteidigungsabkommen. In Bonn dominiert Gelassenheit
Paris/Bonn (dpa/AP/taz) – Solche Aufmerksamkeit war Volker Rühe selten in einem Parlament zuteil geworden. Kaum hatte der Bundesverteidigungsminister Mittwoch abend in den „Tagesthemen“ erklärt, Frankreich habe erstmals der atomaren Verteidigung durch die Nato den Vorrang vor den eigenen Nuklearwaffen eingeräumt, unterbrachen die Abgeordneten ihre Sitzung. Erregt verlasen sie die Stellungnahme, die Rühe zur deutsch-französischen Vereinbarung abgegeben hatte. Libération meinte, er habe damit das Feuer ans Pulverfaß gelegt.
Das Pulverfaß, das war vorgestern abend nicht der Bundestag, sondern die französische Nationalversammlung. Vor allem die Opposition von Kommunisten und Sozialisten hatte Rühe mit seiner Vertragsinterpretation fassungslos gemacht. Der Ex-Verteidigungsminister Paul Quiles sah durch des Deutschen Worte seine Sicht des Vertrages bestätigt. Sozialisten wie auch Kommunisten befürchten, daß sich Frankreich zu stark der amerikanischen Dominanz in der Nato unterordnet. Statt der Europäisierung der Nato vollziehe sich eine Natoisierung Europas. Dabei hatte Frankreich, als es sich 1995 wieder der Nato öffnete, die Erwartung gehegt, daß Europa eine eigenständige Rolle gegenüber den USA einnehmen werde.
Im Gegensatz zur Aufgeregtheit ihrer französischen Kollegen steht die Gelassenheit der deutschen Parlamentarier. Schon die Umstände, unter denen das angeblich geheime Dokument an die Öffentlichkeit gelangte, belegen eher Desinteresse denn Verärgerung. Als es die französische Zeitung Le Monde am vergangenen Wochenende unter Verweis auf deutsche Quellen publizierte und damit die Debatte erst auslöste, lag es den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses in Bonn bereits seit acht Wochen vor. Keiner von ihnen hielt es offenbar für dramatisch.
Auch nachdem das Papier öffentlich ist, hält sich die Kritik in Grenzen. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Karsten Voigt, hat keine Bedenken gegen die in dem Papier vereinbarten verteidigungspolitischen Absprachen. Wichtig sei, daß Deutschland und Frankreich initiativ und Vorreiter einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik würden.
Skeptischer ist da schon die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer. Sie stößt sich vor allem an der Formulierung, daß „unsere beiden Länder bereit (sind), einen Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung im Kontext der europäischen Verteidigungspolitik aufzunehmen“. Für Beer bestätigt sich damit, „daß Deutschland eine gleichberechtigte nukleare Mitsprache verlangt“. Dies bedeute im Zusammenhang mit der Nato-Osterweiterung eine neue Dimension der Konflikte.
Dieser Lesart des Vertrages hat Rühe widersprochen. Die Vereinbarung solle der Bundesrepublik keine Teilhabe an französischen Atomwaffen sichern. Ein deutsches Mitspracherecht sei „auch gar nicht angeboten worden von der französischen Seite“. Es gehe vielmehr darum, zusammen mit Frankreich eine europäische Verteidigungsidentität im Rahmen des Bündnisses zu entwickeln.
Eine integrierte europäische Verteidigungspolitik war im Dezember von den SPD-Politikern Günter Verheugen und Heidi Wieczorek-Zeul eingeklagt worden. Allerdings versprechen sich beide von ihren Vorschlägen einen erheblichen Abrüstungsimpuls. Davon ist im deutsch-französischen Papier keine Rede.
Statt dessen enthält es Festlegungen zur Rüstungskooperation. Beide Länder wollen „eine umfassende europäische Rüstungspolitik entwickeln“ und dabei „gegenseitig gewollte Abhängigkeiten schaffen“. Das heißt, Rüstungsaufträge sollen nicht allein der Pflege der heimischen Rüstungsindustrie gelten, sondern auch mal ins Nachbarland vergeben werden.
Ein Rüstungsauftrag ist in dem Papier bereits festgeschrieben: Um Konflikte zu verhindern, „die ihre vitalen Interessen oder ihre Sicherheitsinteressen“ in Frage stellen können, plant man die „Schaffung strategischer Aufklärungsmittel zur unabhängigen Beurteilung von Krisensituationen“. Dahinter verbirgt sich die Entwicklung eines von den USA unabhängigen Satellitensystems, das einen zweistelligen Milliardenbetrag verschlingen wird. Trotz dieser enormen Summe und der Zweifel an der Notwendigkeit einer solchen Anschaffung hat die SPD bereits Zustimmung signalisiert. Dr
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