: Beamte stürmen Kirchenasyl
■ Kurdische Familie wurde aus Nordrhein-Westfalen abgeschoben. In Istanbul wartete bereits die Polizei
Nottuln (taz) – Beamte der Coesfelder Ausländerbehörde haben am Mittwoch zwangsweise das Kirchenasyl für eine kurdische Familie im münsterländischen Nottuln beendet. Die evangelische Kirchengemeinde des Ortes hatte der zehnköpfigen Familie A. seit Oktober 1996 Unterkunft gewährt. Als „unglaublichen Skandal“ kritisierte Pfarrer Manfred Stübecke das Vorgehen der Behörden. Die Beamten des Ausländeramtes seien gegen 6 Uhr in die Räume der Kirchengemeinde und in seine Privatwohnung „regelrecht hineingestürmt“. Obwohl die richterliche Durchsuchung lediglich für die „Gemeinderäume“ gegolten habe, seien die Beamten auch in seine Privatwohnung und in das Schlafzimmer seiner Schwiergermutter eingedrungen. Die 83jährige Frau habe sich danach wegen der Aufregung in ärztliche Behandlung begeben müssen.
Überraschend kam die Aktion für die kurdische Familie, deren Asylverfahren rechtskräftig abgelehnt worden war, nicht. In einem Morgengottesdienst hatten sie zusammen mit etwa 50 ehrenamtlichen HelferInnen der Gemeinde die Beamten erwartet. Neun der zehn Familienmitglieder saßen quasi auf gepackten Koffern. Nur der 21jährige Sohn, der im Asylverfahren ebenso wie sein Vater vergeblich auf seine Gefährdung in der Türkei hingewiesen hatte, war in der Nacht zuvor verschwunden. Noch am Dienstag hatte Pfarrer Stübecke nach Rücksprache mit der kurdischen Familie dem christdemokratischen Oberkreisdirektor Hans Pixa angeboten, die Flüchtlinge selbst zum Flughafen zu bringen, „um ihnen einen menschenwürdigen Abschied zu ermöglichen“. Vergeblich. Begleitet von rund 50 Polizeibeamten, die die Kirche nach Angaben von Pfarrer Stübecke „quasi umstellt haben“, ließ Pixa seine Mannen im Morgengrauen los.
Der Fall hat auch schon den Petitionsausschuß des Düsseldorfer Landtags beschäftigt. Einstimmig erging von den Abgeordneten im Dezember 1996 an die Coesfelder Ausländerbehörde die Bitte, „noch einmal zu prüfen“, ob für einige Familienmitglieder nicht deshalb eine Gefahr für Leib und Leben bestehe, weil der Ehemann es abgelehnt hatte, Dorfschützer in Türkisch-Kurdistan zu werden. Nach neuen Erkenntnissen, so die Abgeordneten, seien Kurden wegen solcher Weigerung in jüngster Zeit möglicherweise sogar umgebracht worden. Die Coesfelder Behörde folgte dieser Bitte, mochte jedoch keine Gefahr für den Betroffenen erkennen. Nachdem auch das Münsteraner Gericht gegen die Familie entschied, gab es für eine Verhinderung der Abschiebung, so der grüne Abgeordnete Siggi Martsch, „für uns keinerlei Interventionsmöglichkeiten mehr“.
Während der Sprecher der Kreisbehörde, Alois Bosman, gestern davon sprach, die Abschiebung sei „ganz friedlich“ verlaufen, warf der Geschäftsführer des ökumenischen Netzwerks „Asyl in der Kirche“, Martin Rapp, den Behörden „eine eklatante Mißachtung des gewaltfreien kirchlichen Schutzraums“ vor. Auch wenn sich gegen die Abschiebung „formaljuristisch keine Einwände“ finden ließen, so habe die „Demokratie dennoch Schaden genommen“. Durch das Vorgehen der Behörden sei einem „zivilgesellschaftlichen Engagement“ ein Ende gesetzt worden, „auf das unsere Gesellschaft dringender denn je angewiesen ist“.
Berichten aus der Türkei zufolge wurde die Familie unmittelbar nach ihrer Ankunft auf dem Flughafen in Instanbul am Mittwoch festgenommen. Vier Kinder kamen gestern nach Intervention eines Anwalts frei. Alle anderen saßen bei Redaktionsschluß noch in Haft. Walter Jakobs
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