■ Die Scientology-Kritiker argumentieren oft mit Schaum vor dem Mund. Doch gegen die Sekte helfen nur Fakten
: Die totalitäre Versuchung

Das PR-Konzept von Scientology ist aufgegangen: Weltweit verbreitet die Organisation, in Deutschland würden Scientologen wie die Juden unter Hitler verfolgt. Der Vergleich ist so infam wie wirkungsvoll. Hollywoodstars wie Dustin Hoffman und Oliver Stone unterzeichnen Protestbriefe an Kohl und sind sich nicht zu schade, der kruden Sekten-PR auf den Leim zu gehen. Dabei ist der Vergleich mit dem Völkermord nicht neu: Scientology benutzt ihn seit Jahren. Hunderttausendfach wurde eine Broschüre mit dem Titel „Haß und Propaganda“ verschickt, die Parallelen zwischen Nazizeit und deutscher Gegenwart zieht und nebenbei die effizientesten Kritiker der Organisation angreift.

Scientology hat mit dem Nazi- Vergleich die Stelle getroffen, an der auch deutsche Linke empfindlich sind. Das Lindenblatt heißt „Radikalenerlaß“ und ruft Stimmen auf den Plan, die neuen Gesinnungsterror befürchten. Die Lüge von der Verfolgung des Sektenkonzerns hat die Eigenschaft, sich bei häufiger Wiederholung auf wundersame Weise in Wahrheit zu verwandeln. Dies deshalb, weil einige, zumeist konservative Politiker alles andere als geschickt auf die unsinnigen Vorwürfe des Sektenkonzerns reagieren. Man argumentiert eher mit Schaum vorm Mund als mit Tatsachen.

Von Kenntnis der Fakten ungetrübt sind offenbar auch Hollywoodgrößen wie Dustin Hoffman und Oliver Stone. Warum sonst behauptet Stone, der Jazzpianist Chick Corea sei am Auftritt in Deutschland gehindert worden? Tatsache ist, Chick Corea hat hierzulande gespielt. Nur, feiner Unterschied, sein Konzert wurde nicht mit Geldern aus der bayerischen Staatskasse unterstützt. Und Tom Cruise? Zugegeben, die Junge Union hat zum Boykott seines Films aufgerufen. Ein eher dämlicher Versuch, Leute von „Mission Impossible“ abzuhalten. Viel interessanter war es doch zu erfahren, daß Saubermann Cruise direkt von der Zwangsarbeit von Scientologen profitiert hat. Gegen die auf Aussagen des Ex-Scientology-Funktionärs André Tabayoyon beruhenden Recherchen der Berliner Zeitung ist Cruise, anders als gegen die Zählung seiner Samenfäden in der Bunten, nicht gerichtlich vorgegangen.

Wie steht's nun mit der Verfolgung des Malers Gottfried Helnwein? Der Mann macht eine Ausstellung nach der anderen. Und die wurden sogar vom Kultusministerium Rheinland-Pfalz und dem Berliner Senat gefördert. Seit Jahren ist Gottfried Helnwein das beste Aushängeschild für Scientology in Deutschland, er warb in sekteneigenen Broschüren für den Psychokult: „Scientology hat bei mir eine Bewußtseinsexplosion ausgelöst.“ Doch merkwürdig: Immer dann, wenn jemand auf die Verbindung Helnwein/Scientology hinwies, konnte er sicher sein, daß sich postwendend ein Anwalt meldete. Jetzt drohen Helnwein Klagen von denen, die er früher vor den Kadi zerrte. Ausgerechnet die PR-Kampagne gegen Deutschland bestätigte jetzt, daß Helnwein der Scientology-Organisation angehört. Wer das jedoch nicht wahrhaben will, wie Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die von Helnwein als „edlem Wild“ sprach, das „geschlachtet“ werden solle, der muß sich schon fragen lassen, ob da nicht mehr als Naivität im Spiel ist. Aber, wie heißt es bei L. Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology: „Man darf lügen und betrügen, wenn es der Sache dient.“ Und „der Sache“ wird alles untergeordnet. Auch Helnwein hat das getan.

Daß die Scientology-Organisation derzeit so verbissen gegen Deutschland vorgeht, hat aber auch einen simplen Grund: Es soll ein riesiger Rauchvorhang aufgezogen werden, der das Desaster verschleiert, in dem die Sekte derzeit steckt: Verbot in Griechenland, nachdem bekannt wurde, daß Politiker, Journalisten und Geistliche bespitzelt wurden. Verurteilung in Frankreich, wo der ehemalige Scientology-Chef von Lyon wegen fahrlässiger Tötung und Betruges zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. In Dänemark sagte eine Ex-Scientologin aus, daß es auch dort, wie in den USA, Straflager für Scientology-Abtrünnige gibt. Eine Schlappe mußte die Organisation auch in Italien hinnehmen: Vor einem Mailänder Gericht wurden 29 Scientologen wegen Bildung einer verbrecherischen Organisation verurteilt. Und selbst in Rußland, wo ihre Expansion ungehindert fortschreitet, fand sich kürzlich eine Steuerfahndung bei Scientology St. Petersburg ein, um Gelder und Geräte zu beschlagnahmen.

Alle diese Vorkommnisse haben nichts mit Gesinnungsschnüffelei zu tun, sondern mit Verstößen gegen geltendes Recht. Und daran sollte Scientology gemessen werden. Gleichzeitig muß ein Staat behutsam mit allem umgehen, was die Weltanschauungen seiner Bürger betrifft. Auch Scientologen müssen glauben dürfen, was sie wollen. Das Problem ist nur: Es bleibt nicht beim „Glauben“. Frei nach dem alten SED-Motto „Wo ein Genosse ist, ist die Partei“ gilt: Wo ein Scientologe ist, ist Scientology.

Ein Scientologe im Geiste, unverbindlich und halbherzig, ist kein Scientologe. Die Organisation würde ihn in diesem Fall mit allen Mitteln antreiben, für sie tätig zu werden – und er wird es tun: Geld machen, um jeden Preis, Einfluß gewinnen, um jeden Preis, Schlüsselpositionen besetzen, um jeden Preis. Wer das politische Credo von Scientology kennt, der dürfte die aktuelle Debatte in einem anderen Licht sehen. Wenn ein Polizist, der gleichzeitig Scientologe ist, Bewerber für den Polizeidienst mit dem scientologischen „Persönlichkeitstest“ prüft und diesen Test samt Angaben über die Probanden dann durch den Computer seiner Sektenfiliale laufen läßt, hat er mehr als einen Formfehler begangen. Das Gericht verurteilte ihn denn auch zu einer Strafe von 12.000 Mark. Die Tat des Berliner Polizisten war kein Zufall, sondern ist im System Scientology begründet, das die eigene zur alleinigen Wahrheit erhebt. Wenn Scientology an die Macht käme, würden wir nicht mehr über die Freiheit von Andersdenkenden diskutieren. Dann würde eintreten, was sich bei Scientology so liest: „Die Planung für Scientology ist so angelegt, daß wir die Fähigen fähiger machen, während die Unfähigen vorerst sich selbst überlassen bleiben, bis wir richtige Anstalten für sie gebaut haben. Wenn wir das machen, wachsen wir. Wenn wir, wie das einige unkluge Leute tun, uns die Unfähigen, die Hilflosen und die Zurückgebliebenen aufhalsen, werden wir nicht in der Lage sein, schnell genug hoch genug voranzuschreiten...“ Liane von Billerbeck