: Der Kanzler will sich in Sachen Berlin-Umzug von niemandem die Schau stehlen lassen. Heute wird Bauherr Kohl in Berlin mit dem ersten Spatenstich das Startsignal für den Bau der neuen Regierungszentrale geben Aus Berlin Rolf Lautenschläger
Im Stil der neuen Bescheidenheit
Wie jeder wackere Häuslebauer in der Republik greift auch Helmut Kohl beim Bau des künftigen Heims persönlich zum Spaten. Der Anstich der Erde bedeutet Kultisches: Aus wilder Natur wird architektonische Form. So nimmt es nicht wunder, daß der Kanzler beim heutigen „Ersten Spatenstich“ für das Bundeskanzleramt im Berliner Spreebogen die Zeremonie mit einem ökumenischen Gebet eröffnet, das der Berliner Domprobst Otto Riedel sprechen wird. Denn böse Geister will kein Hausherr in seinen vier Wänden haben, schon gar nicht ein deutscher Kanzler in seinem Amtssitz, der auf belastetem Terrain entsteht; Hitlers Baumeister Albert Speer plante ebenfalls hier.
Daß Kohl zum Spaten greift, hat noch einen anderen Grund. Der Kanzler drückt aufs Umzugstempo, geht es ihm doch darum, das „Startsignal“ für die Regierungszentrale noch vor dem Baubeginn für die neuen Bundestagsbüros gegenüber zu geben. Und Eitelkeit ist auch dabei. Während das Programm für den Spatenstich detailliert festgelegt ist, wird der endgültige Entwurf für das Kanzleramt erst heute der Öffentlichkeit präsentiert. Darüber hinaus habe Kohl, so heißt es in der Berliner Bauverwaltung, größten Wert darauf gelegt, mit dem Kanzleramt der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth zuvorzukommen, die für die chaotisch teuren Planungen der Parlamentsbauten – den Reichstag, die Dorotheen-, Luisen- und Alsenblöcke – zuständig ist. Der Mann wolle sich einfach „nicht die Schau stehlen lassen“.
Kohl als Speerspitze des Umzugs? Zweifellos gilt der Neubau des 400 Millionen Mark teuren Kanzleramts als „Markstein“ unter den zukünftigen Regierungsbauten. Nach den Plänen der Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank (Berlin) entsteht im westlichen Spreebogen ein langgezogener H-förmiger Riegel, in dessen Mitte das sogenannte Kanzlergebäude 36 Meter in die Höhe ragt (siehe Plan). Die Machtzentrale mit Ehrenhof wird flankiert von zwei parallel verlaufenden Verwaltungstrakten, deren Räume um begrünte Innenhöfe gruppiert liegen und dem Ensemble ein offenes Flair verleihen. Bei seiner „Vision aus Beton und Glas für das 21. Jahrhundert“ erklärte Schultes beständig, sei es ihm immer darum gegangen, bauliche Transparenz und Öffentlichkeit herzustellen — ein Wunsch, den die Sicherheitsexperten des Bundeskriminalamts längst mit vorgesehenen Zäunen konterkariert haben.
Der Entwurf für den neuen Amtssitz mußte mehrere Veränderungen über sich ergehen lassen, bis er Kohls Gnade fand. Erst monierten der Kanzler und seine Baubürokraten die egalitäre Einreihung des Gebäudes in die Reihe der anderen Neubauten. 1995, nach dem Gewinn des Bauwettbewerbs, mußte Schultes den 19.000 Quadratmeter großen Kubus mit weiten runden Fensteröffnungen — „das Auge des Kanzlers“ — ein erstes Mal umzeichnen. Ein Jahr später kippte der Kanzler auch den zweiten Entwurf, für den der Architekt eine baumähnliche Fassade mit Säulenwald vorgeschlagen hatte. Kohl wollte die „ökologische Chiffre“ als Symbol für eine grüne Republik nicht, so Schultes.
Die dritte Variante, die nach Ansicht Kohls „Würde, Selbstbewußtsein und Bescheidenheit“ auszustrahlen hat, war dann ein Treffer. Geblieben sind die beiden Verwaltungstrakte. Den zentralen Kubus verkleinerte Schultes, damit er unter der Höhe des gegenüberliegenden Reichstags bleibt. Der Zugang erhält zwar Säulen, durch einen Wald aus Betonstämmen indes muß der Kanzler nach der Fertigstellung im Jahr 2000 nicht mehr gehen.
Während Schultes nach den anfänglichen Hakeleien mit der Bundesbaudirektion und dem Ringen um die Details jetzt zufrieden scheint und gar die „gute Zusammenarbeit mit dem Amt“ lobte, machen die Architekten der Parlamentsbauten weiter Schreckliches durch. Wenn nicht gerade der Ältestenrat oder der Bundesrechnungshof mit Horrormeldungen über Umzugsverschiebungen für Furore sorgen, sind es die Parlamentarier selbst, die an den Plänen für den Reichstag, die Alsen- und Dorotheenblöcke herumnörgeln.
Zwar ist der 600 Millionen Mark teure Umbau des Reichtags in vollem Gange. Auf das von Kaiser Wilhelm II. als „Reichsaffenhaus“ verhöhnte Gebäude soll noch in diesem Jahr die neue Glaskuppel gesetzt werden. Wie aber das High-Tech-Ei letztendlich konstruiert sein wird, weiß vielleicht nur der Architekt Norman Foster.
Nicht weniger mühsam plant Wolfgang Braunfels seine 1.700 Büros für die Alsen- und Luisenblöcke (rund 900 Millionen Mark) für die östliche Seite des Spreebogens (siehe Plan). Ob der Luisentrakt jenseits der Spree realisiert wird, steht in den Sternen. Außerdem hat der Bundestag mit immer neuen Änderungswünschen den Baubeginn auf die lange Bank geschoben.
Während für die Parlamentsbauten immerhin der Baubeginn ins Auge gefaßt wird, sind die Pläne für das Forum auf dem Platz zwischen Kanzleramt und Alsenblock offen. Der Bundestag hat an dem Areal, das Axel Schultes einmal als die Stelle bezeichnete, wo sich das Volk mit seinen Vertretern treffen könne, kein Interesse. Im Zwanzig-Milliarden-Etat für den Umzug sind dafür keine Mittel vorgesehen. Darum gibt es für den vielleicht demokratischsten öffentlichen Raum im Regierungsviertel keinen Spatenstich.
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