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„Böse Jungs kommen überall hin“

■ Ein Besuch in der Justizvollzuganstalt Oslebshausen

Aus der Ferne verführen die spitzen Giebel und Türme, die Erker und neugotischen Fenster den Betrachter fast dazu, sich hinter den roten Backsteinmauern ein verwunschenes Schloß vorzustellen. Doch der Stacheldraht, auf der Mauer rings um den Gebäudekomplex und die Gitterfenster lassen keinen Zweifel am wahren Charakter der Gemäuer. Seit 1874 ist hier das Gefängnis der Stadt Bremen untergebracht. 535 Männer werden zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen gefangengehalten. 112 Insassen sitzen in Untersuchungshaft. Die übrigen Häftlinge sind bis zu Strafen von bis zu acht Jahren verurteilt worden.

„Die Anstalt hat etwas Erdrückendes“, sagt Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff während er über den Gefängnishof geht. „Aber im Gegensatz zu den Beton-Gefängnissen andernorts hat sie Individualität und Flair.“ Das „Flair“ der Anstalt hat in den letzten Monaten allerdings stark gelitten: Vier Sexualstraftäter sind im Oktober von ihren Mithäftlingen verprügelt und schwer verletzt worden. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß dies mit Hilfe einiger Justizvollzugsbeamten geschah. Hoff informierte das Justizressort zu spät, wie er selbst einräumt. Seither wird gegen ihn wegen Strafvereitelung im Amt ermittelt. In der vergangenen Woche brachen vier Häftlinge aus. „Seit 20 Jahren haben wir Freizeitgruppen – noch nie ist etwas schiefgegangen. Das ist das erste Mal“, sagt Hoff und zeigt auf das Gitterfenster rechts neben der Tür des Schulhauses aus dem die Häftlinge während einer Veranstaltung getürmt sind. Die Gitterstäbe sind längst wieder zugeschweißt. Nur der fehlende weiße Anstrich erinnert noch an den Ausbruch – und die negativen Schlagzeilen, natürlich. „Ich will nichts beschönigen“, sagt Hoff rundheraus. „Es gab hier in den letzten Jahren leider einige Ausbrüche.“ Genaue Zahlen nennt er nicht, und auch das Justizressort kann damit nicht dienen. „Aber über die Normalität des Knastes wird nie berichtet“, klagt der Anstaltsleiter.

Nur 0,9 Prozent würden ausbrechen oder nach dem Freigang nicht zurückkommen, betont er. „Über die 150 Häftlinge, die nach ihrem Weihnachtsurlaub zurückgekommen sind, schreibt niemand.“

Acht Jahre ist Hoff Anstaltsleiter in Oslebs. Bevor der Mitfünfziger sich auf den „Schleudersitz“ des Anstaltsleiters setzte, zwang er unter anderem Vergewaltiger und Zuhälter auf die Anklagebank. Mit Mitte Vierzig suchte er „die neue Herausforderung.“

Die liegt im modernen Strafvollzug seiner Meinung nach darin, „die Balance zu halten zwischen den Bedürfnissen der Insassen nach mehr Freiheit und dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Sicherheit“, resümiert Hoff und öffnet die schwere Eisentür zum Trakt des sogenannten geschlossenen Vollzugs. In der Mittagspause stehen die Zellentüren von 11.30 Uhr bis 13 Uhr allerdings offen. Auf jeweils vier Häftlinge komme ein Justizvollzugsbeamter als Ansprechpartner. „Solche Strukturen hat es früher nicht gegeben“, streicht Hoff seine Leistungen heraus. Mit diesem System will die Aggressionen auf beiden Seiten abbauen. Daß es trotzdem zu Zwischenfällen kommt, könne „man nie ausschließen“.

Außerdem werden nach Ansicht von Hoff auch viele Themen auch „hochgepuscht“. Daß es im Knast beispielsweise „mehr Drogen geben soll als auf der Sielwallkreuzung“ hält der Anstaltsleiter für „totalen Quatsch“. Mitunter werde natürlich Heroin oder Haschisch in den Knast geschmuggelt. Trotz der Durchsuchungen sei das kaum zu vermeiden. „Das Gesetz verbietet es uns, die Körperöffnungen zu inspizieren.“ Hoff schweigt einen Moment lang. „Ich habe kein Problem mit Kritik“, sagt er schließlich. „Wenn bei meiner Arbeit in Oslebshausen unterm Strich nur Minus rauskommt, gebe ich freiwillig mein Amt ab. Man muß allerdings auch dagegen rechnen, was getan worden ist.“„Herr Hoff, ich bin enttäuscht von Ihnen“, ruft plötzlich ein Häftling. „Sie hätten im Fernsehen ruhig sagen können, daß das mit den Ausbrüchen auch in anderen Anstalten vorkommt.“ „Naja“, nickt Hoff mit dem Kopf und lächelt. Dabei fällt sein Blick unwillkürlich auf ein Plakat, das vermutlich die Häftlinge mit Tesa-Film ans Treppengeländer geklebt haben: „Brave Jungs kommen in den Himmel“, steht dort in großen Buchstaben. „Und böse kommen überall hin.“ kes

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