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■ Fünf Jahre Maastricht-Vertrag. Als pure Sparunion wird die Europäische Währungsunion allerdings scheiternEuro-D-Mark? Non, merci

Der Prozeß der europäischen Integration droht nach der Art der im Maastrichter Vertrag fixierten Schaffung einer Euro-Währung in ein integrationsgefährdendes Dilemma zu geraten. Einerseits folgt das Projekt Euro-Währung einer unerbittlichen Automatik. So wird die ökonomische und finanzpolitische Entwicklung in diesem Jahr über die Zahl der Mitgliedsländer entscheiden, die in den Währungsklub aufgenommen werden. Andererseits offenbaren sich allmählich erst massive Zweifel gegenüber diesem Megaprojekt. Die Proteste richten sich in vielen Ländern gegen die Politik, durch martialische Kürzungen in den öffentlichen Haushalten den Eignungstest für den Euro bestehen zu müssen. Mit dieser Schrumpfpolitik droht die EU endgültig zur Deflations- und Arbeitslosigkeitsunion zu werden.

Schließlich zeigt vor allem die angenehm offene Diskussion in Frankreich: Die Kritik richtet sich gegen die arbeitsplatzbedrohende Europäisierung des deutschen D- Mark-Modells und damit die Entmachtung parlamentarisch legitimierter Politik. An der politischen Klasse Deutschlands prallt diese wachsende Kritik hingegen ab. Sie scheint sich, zumindest offiziell, mit Haut und Haaren der europäischen Monetärgemeinschaft verschrieben zu haben. Geldadel und Topmanager werden nicht müde, geradezu messianisch die Vorteile des Euro zu verkünden. Propagandistische Anzeigenkampagnen sollen die Ängste ersticken. 92 Prozent sind, nach einer durch den Bundesverband der deutschen Banken veranlaßten Befragung, gegen die Währungsunion. Ihnen muß nun, nach der Art des homo germanicus simplex, die monetäre Weisheit noch verklickert werden. Es gilt nun, dieser Propaganda endlich die ökonomischen und politischen Risiken dieses Projekts seriös gegenüberzustellen. Dazu gehört allerdings auch die Aufklärung über nationalistische Panikmache zugunsten der D-Mark.

Sicherlich, die Vorteile einer gemeinsamen Währung im Binnenmarkt liegen auf der Hand. Instabile Wechselkurse belasten den innergemeinschaftlichen Handel. Mit dem Euro wird die Kalkulierbarkeit ökonomischer Aktivitäten zwischen den Mitgliedsländern erhöht. Den Spekulanten, die in der Vergangenheit ja mehrfach von der Krise des derzeitigen Europäischen Währungssystems profitiert haben, vermiest der Euro das Geschäft. So sollte sich die Kritik auch nicht generell gegen das Projekt Währungsunion richten, sondern gegen die im Maastrichter Vertrag fixierten Voraussetzungen und Folgen sowie den irrationalen Zeitdruck. Eine Währungsunion treibt die europäische Integration nur dann sinnvoll voran, wenn sie schrittweise und abgestimmt mit der Angleichung der wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Wirtschaftspolitik durchgesetzt wird. Der zur Vorbereitung des Maastrichter Vertrags verfaßte, im April 1989 vorgelegte „Delors-Bericht“ hielt dies noch fest: Vor der „unwiderruflichen Fixierung der Wechselkurse im EWS“ sollten die „Koordination makroökonomischer Ziele“ auf der Grundlage „mittelfristiger Rahmenplanung für wirtschaftliche Schlüsselgrößen“ angestrebt und die „gemeinschaftliche Struktur- und Regionalpolitik“ ausgebaut werden. Dieses Zwei-Säulen-Modell ist durch Maastricht zugunsten einer einseitigen und schnellen Vollendung der Monetärgemeinschaft demontiert worden. Auf die stufenweise Vergemeinschaftung der Wirtschafts-, Finanz-, Beschäftigungs-, Sozial- und Umweltpolitik sowie den Ausbau der Strukturpolitik wird verzichtet. Der Grund liegt auf der Hand: Der EU fehlt derzeit die Kraft zur breitflächigen Integration. Nachdem die politische Union in weite Ferne gerückt war, sollte die Währungsunion allein integrierende Schwungkraft erzeugen.

Die Kritik an der Dominanz der Euro-Gemeinschaft geht also weit über technische Details hinaus. So wächst nicht nur in Frankreich die berechtigte Sorge, das Modell Deutsche Bundesbank werde Europa übergestülpt – mit all seinen negativen Folgen. Der Fetisch monomane Geldwertstabilität führt, wie die Entwicklung Deutschlands seit Mitte der 70er lehrt, zur Unterordnung aller Politikbereiche. Der Preis, der dafür bezahlt wird, ist Arbeitslosigkeit. Und die Behauptung, die Währungsunion schaffe quasi im Selbstlauf Arbeitsplätze, ist schlichtweg falsch. Im Gegenteil: Die von der Bundesbank angestrebte Ultrastabilität des Euro schließt eine eigenständige Beschäftigungspolitik aus. So führt die Hegemonie der Währungspolitik zwangsläufig zur einer Entpolitisierung. Die Hegemonie des Monetarismus ordnet sich alle Politikfelder unter. Sogar die Bildungs- und Kulturpolitik gerät unter den „Sachzwang“ Geldwertpolitik.

Dies will die Deutsche Bundesbank. Sie unterstützt die Euro- Währung nur, insoweit die Geldwertdominanz gesichert wird. Deshalb interpretiert sie die Eintrittskriterien zur öffentlichen Verschuldung ökonomisch aberwitzig rigoros. Vor allem die Kriterien zur Schuldendeckelung im Namen der Geldwertstabilisierung sind theoretisch und empirisch zweifelhaft. Deutschland überschreitet mit 3,8 Prozent die in Maastricht fixierte Drei-Prozent-Marke Neuverschuldung (bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt). Dennoch ist jederzeit eine historisch niedrige Inflationsrate zu verzeichnen.

Die Bundesbank will hingegen mit dem Disziplinierungsinstrument Währungsstabilität beschäftigungs- und strukturpolitisches Engagement zugunsten eines Euro-Marktradikalismus ersticken. Helmut Schmidt hat das in seinem Brief in der Zeit an den Bundesbankpräsidenten Tietmeyer feinsinnig enttarnt. Bis in konservative Parteien hinein wehren sich die Franzosen gegen dieses „Pensée Tietmeyer“. Dabei gilt die Kritik nicht nur der monetaristischen Reduktion von Politik. Es geht auch darum, die machtpolitische Zentrierung der künftigen EU-Entwicklung auf demokratisch schwach legitimierte Eurobanker zu verhindern. Deshalb fordert der französische Präsident zu Recht ein wirtschaftspolitisches Gremium gegenüber der Euro-Zentralbank.

Fazit: Um die Vorteile der Währungsunion nutzen zu können, kommt es auf zweierlei an: Erstens muß mit der Schaffung eines einheitlichen Währungsraums Zug um Zug eine Beschäftigungs- und Umweltunion durchgesetzt werden. Zweitens sollte die europäische Währungspolitik in eine koordinierte Gesamtpolitik eingebettet werden. Mit dem Euro bietet sich allerdings auch die Chance, die Vergemeinschaftung des politikerstickenden teutonischen Währungsabsolutismus zu verhindern und diesen so auch in Deutschland zu beenden. Rudolf Hickel

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