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„Die Menschen in Hongkong haben Angst“

■ Interview mit Martin Lee, Vorsitzender der Demokratischen Partei in der Kronkolonie

Der 58jährige Rechtsanwalt Martin Lee ist direkt gewählter Abgeordneter im Hongkonger Legislativrat. Seine Demokratische Partei ist die führende Kraft der Hongkonger Demokratiebewegung. Sie hat im September 1995 die ersten und voraussichtlich letzten freien Wahlen Hongkongs gewonnen. Denn am 1. Juli fällt die britische Kronkolonie an China.

taz: Was halten Sie vom jüngsten Beschluß des von Peking für die Übergabe Hongkongs eingesetzten Vorbereitungskomitees, die Wahlgesetze, den Datenschutz, die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit sowie einige Teile des Grundrechtskatalogs abzuschaffen oder zu ändern?

Martin Lee: Das ist eine ganz schlimme Entwicklung. Denn der 1991 in Hongkong verabschiedete Grundrechtskatalog ist sehr gut. Jedes Gericht kann repressive Gesetze aufheben, die die Grundrechte einschränken. Genau das will Peking abschaffen. Die Rücknahme der anderen Gesetze zielt darauf, der Regierung repressive Vollmachten zu geben, so daß die chinesische Führung über die von ihr eingesetzte Hongkonger Regierung die Bevölkerung kontrollieren kann. Ironischerweise wurden einige der repressiven Gesetze, die jetzt wiedereingeführt werden sollen, früher von der Kolonialregierung benutzt, um die Kommunistische Partei in Hongkong zu unterdrücken.

Wie wird es künftig um die Pressefreiheit bestellt sein?

Die Pressefreiheit wird mit Sicherheit eingeschränkt. Peking will, daß das ernannte Übergangsparlament ein Anti-Subversions- Gesetz verabschiedet. Das wird nach Pekings Vorstellungen und den Erfahrungen in China sehr schwammig formuliert sein und alles beinhalten, was Peking nicht gefällt.

Es sieht so aus, als mache China mit Hongkong bereits, was es wolle. Hat die Volksrepublik ihre Versprechen gebrochen?

Aber sicher. Die Gemeinsame Sino-Britische Erklärung von 1984 sah vor, daß in Hongkong das Parlament gewählt wird. Peking hat aber einfach ein Übergangsparlament bestimmt und damit auch gegen unsere künftige Verfassung verstoßen.

Warum sehen Hongkongs Geschäftsleute die Zukunft unter chinesischer Hoheit sehr rosig?

Diese Geschäftsleute sind kurzsichtig. Denn es ist in ihrem Interesse, daß Hongkong frei bleibt. Wer in Hongkong investiert hat, will auch weiter Chancengleichheit gegenüber Firmen aus China sowie rechtsstaatliche Verhältnisse. Selbst wer in China investiert, muß ein Interesse an Hongkongs Freiheiten haben. Denn um Entscheidungen zu treffen, werden unabhängige Informationen benötigt, die nur über Hongkong zu bekommen sind. Ohne solche Informationen werden Investitionen in China sehr riskant. Offenbar befürchten die Geschäftsleute von China Vergeltung, sollten sie die Wahrheit sagen. Das ist aber kein Grund, daß Regierungen Dinge nicht beim Namen nennen. 1984 hat Peking andere Regierungen aufgefordert, die Gemeinsame Sino-Britische Erklärung zu unterstützen. Da die deutsche Bundesrepublik die Rückgabe immer unterstützt hat, hat sie zumindest die moralische Verpflichtung, bei China die Einhaltung der Gemeinsamen Erklärung anzumahnen.

Warum demonstrieren in Hongkong nur so wenige gegen das Vorgehen der chinesischen Regierung?

Weil die Menschen Angst haben. Sie sehen, daß diejenigen, die, von der Weltöffentlichkeit verlassen, an Demonstrationen teilnehmen, das Risiko eingehen, nach der Übergabe bestraft zu werden.

Für 1998 hat die chinesische Regierung Wahlen in Hongkong angekündigt. Welche Chancen hat Ihre Partei bei Wahlen unter chinesischer Hoheit?

Wir werden nur wenige Sitze bekommen, weil das von Peking ernannte Übergangsparlament die Wahlgesetze entsprechend ändern wird. Denn viele, die jetzt im Übergangsparlament sitzen, wurden bei den letzten Wahlen von uns besiegt. Interview: Sven Hansen

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