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Taktvoll zuckender Bandenkrieg

■ Die französische Hip Hop-Gruppe „Collectif Mouv'“ tanzt auf Kampnagel Jugend-Gerangel

Willkommen im imaginären U-Bahn-Schacht. In der Nebenstraße von Paris oder in der Hip Hop-Disko. Zwei Jugendbanden treffen sich. Bässe wummern, Platten wimmern unter dem Kratzen der Tonnadel. Fast jeder Tänzer trägt eine Mütze, Hosenboden hängen in Kniekehlen. Was betont cool aussieht, gehört zum Lebensgefühl der HipHop-Gruppe Collective Mouv–.

Wären die Franzosen in einer Disko und nicht auf der Kampnagel-Bühne, der Effekt wäre der gleiche: mundoffenes Staunen. Ellenbogen zappeln, als ließe die Musik ihnen keine andere Wahl. Ein Mann tanzt unter seinem eigenen Arm durch, packt sich selbst am Kragen, stellt sich auf den Kopf. Ein anderer Tänzer dreht eine Kopfpirouette, daneben zieht sich einer im Takt den Rolli aus.

Ob auf der Bühne gerade Voguing, Breakdance oder Smurf gezeigt wird – oder ist es Streetdance? – ist kaum zu erkennen. Die Gruppen M.B.D.T. und IF, zusammen Collektif Mouv–, mischen die Stile und wuchten sie so aus dem Image der Hinterhof-Tänze. Daß sie Geschichten aus ihrem Alltag erzählen wollen, wird von Bässen und Bewegungen überrollt. Statt Handlungen werden Motive erkennbar, die die Tänzer wie fixe Ideen verfolgen: Immer wieder kommt es zum rhythmisch zuckenden Streit, schubsen und drängeln die 20- bis 25jährigen sich um die Biergartenbank auf der Bühne.

Die hält gemeinsam mit Saftkisten und drei Stühlen das Kulissenmonopol. In dieser Rarheit setzen sich die Künstler dem Druck aus, per Bewegung für Abwechslung zu sorgen. Schneller zu tanzen, Gewalt durch Grazie zu ersetzen und plötzlich zu erstarren. Meist gelingt ihnen das. Zäh wird es nur, als einer nach dem anderen in den Bühnen-Lichtkreis tanzt, um seine Bauchmuskeln spielen zu lassen. Und um zu zeigen, daß er beweglicher ist als seine Kumpels.

Konkurrenz ist Programm bei Collectif Mouv'. Sie erlaubt den Tänzern, sich immer neu zu produzieren. Gehoppte Pas de Deux wechseln sich ab mit Soli, ein Künstler mokiert sich über den nächsten. Erst am Ende stapeln sich alle Tänzer zu einem Standbild. Ohne Konkurrenz ist nur DJ-Tal am Mischpult. Traditionsgemäß schrabbelt und scratched er sich von einem Plattenteller zum nächsten.

Was dabei herauskommt, ist selten französisch. Zu englischen Seufzern entblättert sich ein Tänzer: Weg ist die Frau, für die er das eigentlich tut. Auch Kollektif Mouv– besteht leider nur aus Männern – dabei tanzt eine Frau, die zur Zugabe auf der Bühne erscheint, so gut, daß man sich fragt, ob sie nicht mitmachen will oder es nicht darf.

Judith Weber

Kampnagel, k6, 7.-9. und 11./12. Februar, 19.30 Uhr

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