piwik no script img

Nachtleben statt Ostmief

■ Kneipenstreit und Multiplexkino in der Kulturbrauerei: Ein gefälschtes Flugblatt macht Furore in Prenzlauer Berg. Die einen lachen, die anderen müssen ihre Unschuld beteuern

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Gisbert Daske lacht nicht. Statt dessen hat er Anzeige erstattet, gegen Unbekannt und wegen Rufschädigung, übler Nachrede, vor allem aber wegen eines Verstoßes gegen das Pressegesetz. In dessem Sinne soll er nämlich verantwortlich für ein Faltblatt sein, mit dem er rein gar nichts zu tun hat. „BfP – Bürger für Prenzlauer Berg“, heißt es auf dem Machwerk, das Daskes Namen trägt. BfP ist ist laut Faltblatt „eine Initiative von Bürgerinnen und Bürgern, die zum Teil schon seit fünf Jahren hier leben und den weltoffenen Flair des Prenzelbergs schätzen und lieben gelernt haben“. Und weil man nicht weltoffen sein kann, ohne positiv zu denken, heißt die Parole: „Bürger sagen: ja!“. Ja zu „pulsierendem Nachtleben statt Kleinstadtmief“, ja zu „attraktiven Teilzeitjobs“ im Gastro- Gewerbe, die das Lebensniveau entscheidend verbessern würden, ja zur Umgestaltung der Kulturbrauerei zum längsten Tresen der Welt, ja zum Standort Prenzlauer Berg. Nein, Gisbert Daske ist nicht zum Lachen zumute. Er sagt: „Die Ebene der Ironie ist verlassen.“ Daske fühlt sich persönlich gekränkt. Seitdem er, der Sprecher der Kneipen rund um den Kollwitzplatz, in die Betroffenenvertretung gewählt wurde, herrscht Dialog statt Kneipenstreit. Viel hat Daske erreicht, zum Beispiel, daß die Kneipen jetzt Ansprechpartner nennen, bei denen sich die touristengestreßten Bewohner beschweren dürfen, wenn sie nachts nicht schlafen können. „Dieser Erfolg“, sagt Daske, „wird durch dieses Flugblatt gefährdet.“

Auch Stefan Weiß kann nicht mehr lachen. Dafür hat er gar keine Zeit mehr. Stefan Weiß muß telefonieren. Stefan Weiß ist nämlich Architekt und als solcher mitverantortlich für den Ausbau der Kulturbrauerei zum Erlebnispark samt Multiplexkino und Tresenlandschaften. „Wenn Sie Fragen haben, rufen sie uns an: „Weiß & Partner, Architektur- und Planungsbüro“, steht – inklusive Telefon und Fax – auf dem Faltblatt. „Wir haben Anrufe von empörten Bürgern bekommen“, klagt der Architekt. „Wir haben dann erklärt, daß wir nicht die Verfasser dieses Blättchens sind.“ Vom Bau des längsten Tresens in der Kulturbrauerei will Weiß aber nicht lassen. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der es um Tauschwerte geht“, sagt er. „Da muß sich eine Investition rechnen.“

Detlev Wittenberg dagegen lacht. Lauthals. „Das Faltblatt gefällt mir sehr gut, das bringt genau auf den Punkt, was die Leute hier aufbringt.“ Von einer Einigung zwischen Kollwitzplatzkneipern und den Anwohnern könne gar keine Rede sein. Für den Betroffenenvertreter Wittenberg geht der Kneipenkrieg weiter: In ein paar Jahren kann man hier keine Brötchen mehr kaufen“, klagt er.

Gelacht hat auch Nilson Kirchner. Aber erst beim zweiten Blick. „Beim erstenmal hab' ich gedacht, was für einen Scheiß der Daske schreibt“, sagt Kirchner. Seitdem er die Ironie erkannt hat, glaubt das BVV-Mitglied – im Gegensatz zu Daske – auch wieder an den Dialog: „Die Menschen kommen miteinander ins Gespräch und versichern sich gegeneinander, daß sie mit dem Faltblatt nichts zu tun haben“. Uwe Rada

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen