: Zwiegespräch der Dinge
Künstlerinnen in Berlin (III): Claudette Griffiths, die Holzobjekte, Zeichnungen und Textzitate zu farbstrotzenden Materialcollagen kombiniert ■ Von Cornelia Gerner
Jazz tönt durch den Atelierraum, am Boden liegen stapelweise Kassetten. „Ich höre viel Musik. Sie fließt rein in meine Arbeit und bildet mit ihr eine Einheit.“ Claudette Griffiths ist Jamaikanerin. Sie spricht langsam und mit gerolltem R. Gelassen zeigt die Künstlerin ihre zuletzt entstandenen Collagen, die für eine Ausstellung in der Schweiz bereit liegen. Es sind kleinformatige, farbige Blätter, wobei „farbig“ als eher müder Ausdruck erscheint für das, was man sieht. Denn da ist Farbe und noch mal Farbe, die sich auf Flecken, gebogene Linien und einander überlappende Kreuze verteilt.
Die gleichen Formen und Farben begegnen einem auch in den bis zu 1,80 Meter hohen Holzobjekten, wie in „Der gestreifte Tütenhenker“ (1996) und „Rückkehr des ehemaligen Ortsbullen“ (1996). „Beide Bereiche, Bilder und Objekte, sind bei mir nicht zu trennen.“ Schließlich sind die Arbeiten aus Holz ebenfalls Collagen. Außerdem wird bei Ausstellungen ohnehin alles zusammen gezeigt, Skulpturen und Papier- oder Keilrahmenarbeiten. Wie zur Erklärung rückt Claudette Griffiths eines der Objekte schräg vor ein Bild, das an der Wand hängt: „Sofort fangen sie ein Gespräch an“.
Die grazilen Figuren entstehen aus Schreinerabfällen und gefundenen, schon einmal verwendeten Holzteilen. Wenn man genau hinschaut, kann man auch mal einen farbig bemalten Besenstiel, Salzstreuer oder Kleiderbügel erkennen. Dazwischen baumeln Korken und verbrauchte Pinsel. Alles farblich verfremdet und in einen neuen Kontext gebracht.
Claudette Griffiths wurde 1957 in Kingston geboren. Sie hatte bereits drei Semester an der Kunsthochschule dort studiert, als sie „ganz normale menschliche Umstände“ 1978 nach Berlin führten – eine Liebe. In Berlin machte sie bald die Bekanntschaft ihres späteren Lehrers Lothar Fischer, dessen Arbeiten sie „wahnsinnig anzogen“ und der ihr während der HdK-Zeit das Gefühl gab, ihren Weg unabhängig gehen zu können. 1989, durch die Studentenstreiks mit einem Jahr Verzögerung, schloß sie ihr Studium als Meisterschülerin ab und bezog ihr eigenes Atelier. Gleich darauf fand die erste Einzelausstellung in einer Salzburger Galerie statt.
Inzwischen hat Claudette Griffiths in zahlreichen Ländern ausgestellt. Neben verschiedenen Förderungen erhielt sie 1995 ein Stipendium der Akademie der Künste Berlin für die Villa Serpentara in Olevano in Italien. 1997 wird sie anläßlich der Sommerakademie in Hohenaschau am Chiemsee einen Lehrauftrag annehmen. Außerdem stehen neben der bereits erwähnten Ausstellung für dieses Jahr noch zwei weitere Einzelpräsentationen auf dem Plan: die eine in Berlin, in der Just Art Galerie, die Claudette Griffiths seit zwei Jahren fest vertritt, die andere in Spanien.
Auf dem langen Tisch unter dem riesigen Sprossenfenster des Kreuzberger Ateliers liegt zwischen Farbtöpfen, Gläsern und Pinseln ein aufgeschlagenes dikkes, großes Buch. „Eine Art Bildertagebuch. Wenn ich nicht an den großen Arbeiten malen will, geh' ich da ran“, kommentiert die Künstlerin. Es gibt bereits viele davon. Zwischen dem Geklebten und Gezeichneten tauchen, wie auch in anderen Arbeiten, kurze Texte auf. Liederfetzen, die sie gerade gehört hat, oder Zeilen aus Gedichten von Christian Morgenstern.
Zur Zeit beschäftigt sie sich mit den Liebesgedichten von Erich Fried. In einem dünnen Band des Autors liegen zahlreiche Buchmerker, mit Anmerkungen versehen – Textstellen, die sie besonders interessieren. Auf einem der Buchmerker steht: „Auch die Sonne hat keine rotblonden Haare.“ Claudette Griffiths dagegen hat schwarzes, kleingelocktes Haar und erklärt das Wortbild so: „Sehnsüchte, die nicht verwirklicht werden können.“ Wahrscheinlich aber braucht die Sonne gar keine rotblonden Haare.
Die Tagebücher erinnern Claudette Griffiths daran, ihre rund 40 mal 40 Zentimeter großen „Kästchen“ zu zeigen. Das Original, der Aufbewahrungsschrein für ein Sägeblatt, hat sie in einer ehemaligen Schreinerei im Keller gefunden und mehrfach nacharbeiten lassen. Diese aufklappbaren Objekte enthalten in beiden Deckeln fest montierte Collagen. Auseinandergeklappt können sie unterschiedlich zusammengerückt werden und ergeben auf diese Weise immer neue Bilder.
Die „Kästchen“ gehören zu einer Reihe mit dem Titel „Kunst auf Reisen“, zu der außerdem hölzerne „Kunstkoffer“ zählen. Auch außen collagiert bringen sie geöffnet – der Deckel lehnt an der Wand – alle möglichen bemalten und beklebten, mit Schnüren verbundenen Holzstücke oder Papiere zum Vorschein. Wie aus einem Zauberkasten entfalten sich bunte Leitern, an deren Enden zum Beispiel ein Kleiderbügel mit einem Zollstock hängt, den man am vorgesehenen Nagel an der Wand befestigen kann. Im Boden des Koffers liegen kleinere Objekte, übermalte Noten oder die von Claudette Griffiths immer wieder bearbeiteten Papiertüten. Insgesamt gibt es vier von der Sorte.
Die Idee dazu sei ihr im Zusammenhang mit dem Italien-Stipendium gekommen, als sie über die Transportmöglichkeiten für ihre Objekte nachdachte.
Auf dem Weg zum Mehringdamm klingt nach, was Claudette Griffiths zuletzt gesagt hat: „Die Farbe ist existentiell. Sie hält mich in diesem nördlichen Bereich aufrecht. Wenn ich hier wie ein Chamäleon leben würde, wären diese Farben nicht da.“
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