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„Wir sind nicht hip!“

Wo Bata Illic und Stücke wünschen nicht verpönt sind: Seit über einem Jahr sendet der Dortmunder Sender Onyx für Menschen, die nicht mehr so gern in die Plattenläden gehen, aber auf das Musikhören nicht verzichten wollen  ■ Von Stefan Laurin

Für die thüringische Bluegrass- Band Andy's Breakdown ist es der erste Fernsehauftritt seit dem Zusammenbruch der DDR. Entsprechend nervös ist die Atmosphäre während der Live-on-Tape-Aufzeichnung beim Dortmunder Fernsehsender Onyx. Nur Andy Herwig sitzt mit stoischer Ruhe vor seinem Keyboard, während Andy Glandt unruhig an seinem Banjo zuppelt und Brit Singer endlos ihre Mandoline stimmt. Gut, daß Moderator Hans-Eckart Eckhardt immer wieder beruhigend auf sie einredet. Seine sonore Stimme ist wohl jedem aufmerksamen Zuschauer des Sat.1-Glücksrads bekannt. Hier in Dortmund moderiert er den Country-Club, die einzige regelmäßige Contry-Sendung im Deutschen Fernsehen. Hier in Dortmund sind die Interpreten noch dankbar und fern aller Starallüren. „Woanders hätten wir keine Chance, im Fernsehen aufzutreten“, sagt einer der Andys, und damit hat er wahrscheinlich recht. Denn es wäre in der Tat schwer vorstellbar, daß Heike Makatsch den Bluegrass-Freunden eine Chance gibt – allenfalls Stefan Raab könnte sie wohl als Kanonenfutter gebrauchen.

Onyx ist eine Art „Mittelalter aufwärts“-Radio wie WDR 4 – nur mit Bildern: seichte Popmusik, Country, Schlager und sanfte Jazzklänge bestimmen das Programm neben Musicalhits und Klassiksprengseln. Da es von der deutschen Schlager- und Countryszene kaum Videos gibt und die wenigen Produktionen eher an Urlaubsdrehs ambitionierter Amateure erinnern, ist Onyx darauf angewiesen, die Musikanten in den eigenen Kulissen abzufilmen.

„Wir hoffen, daß wir auf den Schlager- und Countrybereich in Deutschland eine ähnliche Wirkung haben, wie sie Viva für den Popbereich hatte. Denn erst durch Viva wurden auch die Videos deutscher Bands gesendet, und heute können sich die meisten Videoproduktionen durchaus sehen lassen“, sagt Christoph Hawerkamp, der Chefredakteur des Pottsenders, der im Januar vergangenen Jahres startete und heute bereits von acht Millionen Haushalten empfangen werden kann. Tatsächlich könnte Onyx noch einmal eine strategische Bedeutung für die Plattenfirmen bekommen, denn die sind von zwei Ereignissen aufgerüttelt worden: Seitdem Wolfgang Petry nach der Änderung der Berechnungsgrundlage der Chartsstatistiker (seit Sommer vergangenen Jahres zählen nicht mehr die Tips der Plattenhändler, sondern die verkauften CDs) mit seiner CD „Alles“ die Spitze der Top-ten erreichte, ist vielen klar geworden, daß nicht nur Kids CDs kaufen. Außerdem zeigt eine Studie der Gesellschaft für Konsumgüterforschung (GfK) und des Instituts für Psychologie und Sozialforschung (IPS) die Existenz von Sleepern auf: potentielle Plattenkäufer, die sich in der schrillen Welt der Plattenläden nicht mehr wohlfühlen. Dabei könnte sich ein Viertel der über sechzigjährigen musikalischen Konsumverweigerer vorstellen, mehr Geld für Tonträger auszugeben – wenn das Ambiente bei WOM oder Karstadt stimmen und die CD-Player auf einer Nußholz- Musiktruhe stehen würden. Diese Zielgruppe will Onyx erreichen. „Wir sind“, so Chefredakteur Hawerkamp, „nicht hip und nicht chartsorientiert. Wir bieten Musik für Menschen, die sich in den anderen Sendern nicht wiederfinden und die keine Lust haben, sich mit Volksmusikgedudel abspeisen zu lassen.“ So kann es durchaus vorkommen, daß Schlager neben Pop präsentiert werden, ein Jazzstück neben einem Musicalklassiker. „Unsere Zuschauer denken nicht in Sparten, der Zugang zur Musik ist emotional, und das setzen wir mit Erfolg um.“

In Zahlen ist dieser Erfolg kaum zu messen. Nach Einschaltquoten gefragt, verweist Hawerkamp auf die geringe Aussagekraft der GfK- Zahlen für Spartenkanäle und die hohe Resonanz der Zuschauer. „Wir bekommen Briefe, in denen sich Zuschauer Stücke wünschen oder uns ihre Erinnerungen an ein bestimmtes Lied beschreiben.“

Den Gelegenheitsgucker befallen mitunter Erinnerungen bizarrerer Art, wie ein Wiedersehen mit Peter Orloff, dessen Schlagerpalast im Augenblick mangels attraktiver Interpreten pausiert. Spätestens im Frühjahr aber wird Orloff wieder den immer noch pickeligen Bata Illic und den immer noch jungen Jürgen Drews präsentieren. Doch auch der Nachwuchs soll beim Dortmunder Fernsehsender nicht zu kurz kommen. Demnächst will man jungen, klassischen Musikern mit der Sendung „Klassik Kids“ ein Forum geben. Denn auch die haben es bei Viva schwer, solange sie nicht halbnackt in der Brandung auf dem Flügel spielen oder auf Skates in die Posaune blasen.

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