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Ausreisevisum aus dem Kreißsaal

Lieber nicht auf Klassenreise gehen: Visumpflicht für ausländische Jugendliche gilt auch für die in Hamburg Geborenen  ■ Von Elke Spanner

Was Kohls Innenminister Manfred Kanther (CDU) als „kleine Unbequemlichkeit“ beschreibt, bedeutet für 18.000 bis 30.000 Hamburger Kinder größte Unsicherheit: Die Visumpflicht für unter 16jährige aus der Türkei, aus Bosnien-Herzegowina, der Bundesrepublik Jugoslawien, Kroatien, Marokko, Mazedonien, Slowenien und Tunesien. Die Bürgerschaftsfraktion der GAL kündigte deshalb gestern eine Gegenoffensive an: In einem Antrag wird der Hamburger Senat aufgefordert, im Bundesrat die Zustimmung zu der Eilverordnung zu verweigern, die Kanther am 15. Januar erließ.

Zwei Neuerungen will die GAL vom Tisch haben: Kinder aus den genannten Staaten benötigen zur Einreise nach Deutschland ein Visum. Auch wer auf Klassenfahrt ins Ausland fährt, muß dies von langer Hand vorbereiten. GALierin Anna Bruns will von einer Hamburger Schule erfahren haben, daß bereits drei türkische Kinder auf die gemeinsame Fahrt nach Marseille verzichten mußten.

Zudem müssen sich MigrantInnenkinder in Deutschland persönlich bescheinigen lassen, daß sie hier leben dürfen, selbst wenn die Eltern bereits in der zweiten Generation in Hamburg wohnen. Unmittelbar nach der Geburt müssen diese, so GALierin Anna Bruns, „mit einem Foto des Säuglings“ die Papiere beantragen, um den Nachwuchs „aus dem Kreißsaal nach Hause mitnehmen“ zu dürfen. Beide Elternteile müssen gemeinsam den Antrag stellen und ausreichenden Wohnraum und Verdienst nachweisen können. Schlechte Karten hat, wer getrennt lebt, arbeitslos ist oder eine nur winzige Wohnung hat.

Viele Kids und Jugendliche, gerade aus der Türkei, leben hier bei ihren Verwandten. Für die werde es „ganz übel“, schwant es Jürgen Ebert von der Beratungsstelle Fluchtpunkt e.V., denn „Onkel und Tante sind keine Eltern im Sinne des Ausländergesetzes“.

Doch selbst wer den lebenswichtigen Stempel ergattert hat, ist damit noch lange nicht auf der sicheren Seite. Das mußte Hüsniye Ergün erfahren, als die Mutter türkischer Herkunft, die inzwischen sogar einen deutschen Paß hat, eine Aufenthaltsgenehmigung für ihre beiden Kinder beantragte. Die bekam sie zwar – aber nur befristet für ein Jahr. Dann muß sie erneut die Ausländerbehörde aufsuchen und ihre gesamte Lebenssituation offenlegen.

„Mindestens ein Drittel aller hier lebenden ausländischen Kinder wird keine Aufenthaltsberechtigung bekommen“, ist Bendix Klingeberg, Geschäftsführer der Deutsch-Ausländischen Begegnungsstätte in Wilhelmsburg, überzeugt. Damit würden die Kinder zu Illegalen. Und Illegale, so schreibt es das Ausländergesetz vor, müssen abgeschoben werden.

Sollen Kinder ohne die Eltern in deren Herkunftsland gebracht werden, nur weil etwa die Mutter arbeitslos oder die Wohnung zu eng ist? Ausländerbehördensprecher Norbert Smekal beantwortet die Frage nicht ohne Zynismus: „Möglich ist letztlich alles. Aber gegen die Entscheidungen der Ausländerbehörde gibt es ja Rechtsmittel.“

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