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■ Die politische Ökonomie der europäischen RentnerSynthese im Geldbeutel

Genosse Karl Kautsky hätte seine helle Freude. Hatte dieser Theoretiker des Sozialismus um die Jahrhundertwende doch seine Überlegungen des ökonomischen Determinismus aufgestellt, die etwa in folgender These gipfelten: Die wirtschaftlichen Widersprüche des Kapitalismus werden sich dergestalt zuspitzen, daß diese verderbliche Produktionsweise quasi von selbst verschwinde. Nun ja, er hatte sich geirrt, der Kapitalismus fand allemal Auswege aus der Krise, und wenn es blutige, kriegerische, völkermörderische waren.

Und jetzt die Rentenkrise. Die Menschen in den westlichen Industriestaaten leben länger und gebären immer weniger. Die nachwachsenden Generationen müssen einen immer größeren Anteil ihres Erwerbseinkommens abführen, um die Transfers an die Älteren zu finanzieren. Dies verteuert wiederum die Lohnarbeit und beschleunigt deren Substitution durch Technik.

Welcher Ausweg läßt sich da finden? Die Renten radikal zu kürzen verbietet sich nicht nur aus moralischen Gründen. Will man die Alten nicht verhungern lassen, muß man den Ausfall anderwertig kompensieren – etwa durch die Sozialhilfe. Wofür wiederum Geld nötig wäre. Was man also an Sozialabgaben einspart, müßte man an direkten oder indirekten Steuern wieder einnehmen. Dasselbe würde für eine staatlich garantierte Grundrente gelten, es sei denn, man würde sie durch den Zwang zu privater Kapitalbildung ergänzen. Das würde aber die Lohnabhängigen und späteren Rentner zu „Shareholdern“ machen. Als „Shareholder“ jedoch hätte der Erwerbstätige das Interesse eines Kapitalanlegers, sich selbst wegzurationalisieren.

Also besser das Rentenalter heraufsetzen? Dagegen spricht im Zeitalter der rüstigen Alten prinzipiell gar nichts – außer der Sockel von 10 bis 15 Prozent Arbeitslosen in den europäischen OECD-Ländern. Weniger Rentner würden mehr Arbeitslose bedeuten. Was die Rentenkassen sparen würden, erhöhte das Defizit der Arbeitslosenversicherung.

Wie man es dreht und wendet, kein Ausweg ist in Sicht. Wo also bleibt der neue Kautsky, der mutig den Zusammenbruch des Kapitalismus prophezeit? Er hätte die Massen auf seiner Seite, die subversiven Greise, jene Antithese zur westlichen Arbeitsgesellschaft, in deren Portemonnaie allmonatlich, pünktlich zum Ersten, die Synthese keimt. Robert Misik

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