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Sparstrumpf für die alten Tage

Rentenkassen knausern, nicht nur weil die Wirtschaft lahmt  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Die alten Iren haben es besser: Seit Juli 1995 dürfen irische Rentenempfänger zum Nulltarif nach Nordirland reisen. Daneben wurde auch die Rente für Witwen und Witwer ausgebaut, der Anspruch der Wohlfahrtsbeihilfe für Blinde erhöht und der Kreis der Begünstigten einer Pflegerente erweitert. Soviel Großzügigkeit kann sich heute nur noch Irland leisten, was damit zusammenhängt, daß die staatskatholischen Iren viele Kinder haben und deshalb die Hälfte der Bevölkerung unter 26 ist.

Die anderen EU-Staaten plagt das Zipperlein: immer mehr Rentner, immer weniger Beitragszahler. 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wenden die Länder im Durchschnitt für die Ruheständler auf, in Italien sind es sogar knapp 16 Prozent. Doch das Geld der Rentenkassen wird knapp, nicht nur, weil die Wirtschaft lahmt und immer weniger Menschen Arbeit haben und damit weniger Beiträge zahlen. Die EU-Regierungen knausern auch mit Zuschüssen an die Kassen. Schließlich haben sie sich in Maastricht festgelegt, die Schuldenberge abzubauen.

Fast alle EU-Regierungen arbeiten zur Zeit an Reformen der Rentensysteme, um sie auch bei steigender Zahl der Ruheständler finanzierbar zu halten. Im Kern greifen die Regierungen immer wieder auf dieselben drei Grundideen zurück: Erhöhung der Altersgrenze, Kürzung der Renten und teilweise Umstellung auf private Zusatzversicherung. So haben neben Deutschland auch Griechenland, Finnland, Portugal und Großbritannien das gesetzliche Ruhestandsalter erhöht oder wollen es in nächster Zukunft erhöhen. Andere Länder, zum Beispiel Frankreich, haben die Berechnung für die Rentenhöhe so verändert, daß die meisten Rentner in den nächsten Jahren unterm Strich weniger bekommen als früher. So müssen für die volle Rente 40 Berufsjahre nachgewiesen werden. Bisher reichten 37,5 Jahre.

Je mehr die Regierungen an den staatlichen Renten herumstreichen, um so stärker verweisen sie auf die Möglichkeit einer privaten Zusatzversicherung. In der Regel ist das mit einer steuerlichen Förderung der privaten Kassen verbunden. Nur der deutsche Finanzminister ist so verzweifelt, daß er Renten und Lebensversicherungen mit zusätzlichen Steuern belasten will. Im Gegensatz zur klassischen Rentenversicherung, bei der die jetzt Arbeitenden die jetzigen Rentner finanzieren, funktioniert die private Zusatzversicherung wie eine Sparkasse: Was im Arbeitsleben eingezahlt wird, kann im Alter verpraßt werden.

Was die Förderung der Eigenverantwortlichkeit angeht, ist Großbritannien bereits einen gewaltigen Schritt voraus, soweit, daß die Regierung zähneknirschend bereits wieder den Rückwärtsgang einlegen mußte. Denn Maggie Thatcher wollte das staatliche Rentensystem langfristig abschaffen und durch private Vorsorge ersetzen. Seit 1988 haben sich so vier Millionen Arbeitnehmer aus dem staatlichen System ausgeklinkt und individuelle Verträge mit privaten oder betrieblichen Kassen abgeschlossen. Doch die Begeisterung über die günstigen Tarife hat seit dem Maxwell- Skandal deutlich nachgelassen. Der Zeitungsverleger Robert Maxwell hatte die Rentenfonds seiner Unternehmen geplündert und danach Konkurs angemeldet. Das Geld ist weg, weshalb die Regierung für betriebliche und private Kassen so viele Auflagen und Absicherungen einführte, daß sie einer staatlichen Einrichtung doch wieder sehr ähnlich sehen.

Doch Großbritannien ist die Ausnahme, alle anderen EU-Länder halten grundsätzlich an der staatlichen Umlagefinanzierung fest. Eine private Zusatzversicherung soll nur ergänzen, was die staatliche Rente nicht mehr leisten kann. Denn daß die Rente sinken wird, scheint unausweichlich. Eurostat, das statistische Amt der EU, geht davon aus, daß in 20 Jahren drei Berufstätige einen Rentner finanzieren müssen.

Die Lösungswege in den einzelnen Ländern sind so unterschiedlich wie die Traditionen. Grob vereinfacht gibt es in Europa drei Rentenzonen. In den nordischen Ländern zahlt der Staat eine Grund- oder Volksrente, die in Dänemark bei 200 Mark die Woche liegt, in Schweden, Finnland und Großbritannien bei rund 130 Mark pro Woche. Dazu kommt eine beitragsfinanzierte Zusatzrente, deren Höhe sich daran bemißt, was während des Arbeitslebens eingezahlt wurde.

In der gemäßigten Zone, zu der man Deutschland, Belgien, Luxemburg und Österreich rechnen kann, werden die Renten über Beitragszahlungen finanziert und richten sich in ihrer Höhe nach der Zahl der Versicherungsjahre und der Summe aller eingezahlten Beiträge. Der Rest ist Süden: In Portugal, Spanien, Italien und Griechenland errechnet sich die Rente im wesentlichen aus den Einzahlungen während der besten Verdienstjahre. Wer irgendwann in seinem Berufsleben für ein paar Jahre richtig gut verdient hat, kann die höchste Rente einstreichen. Das ist zwar nicht besonders gerecht, aber als es in den fünfziger und sechziger Jahren eingeführt wurde, fanden das alle ganz toll. Damals konnte schließlich jeder hoffen, auf diese Weise mit ein paar fetten Jahren ausgesorgt zu haben.

Nach einem ähnlichen System werden übrigens in fast allen Ländern die Beamten und teilweise auch die Staatsangestellten versorgt. Obwohl die Pensionszahlungen die Regierungen vor mindestens genauso große Probleme stellen wie die Renten für Otto Normalarbeiter, schneiden die Regierungen lieber an den Renten herum als an den Altersbezügen ihrer Mitarbeiter.

So hat die italienische Regierung 1993 beschlossen, das Rentensystem für alle Berufsanfänger umzustellen. Ihre Rente errechnet sich künftig wie in Deutschland am Durchschnittseinkommen des ganzen Lebens. Weil die Einsparungen aber erst in 30 bis 40 Jahren greifen, Rom aber jetzt schon ziemlich klamm ist, soll jetzt das Rentenalter flexibel erhöht werden. Wer freiwillig später in Rente geht, bekommt dafür mehr.

Ein ähnliches Modell haben sich auch die Schweden ausgedacht. In dem nordischen Land orientiert sich die Höhe der Rente ab 1999 daran, wie lange jemand statistisch noch zu leben hat, wenn er zum erstenmal die Rente beantragt.

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