Amerika ist in Potsdam angekommen

Das Stern-Center ist Potsdams größte Shopping-Mall. Täglich laden dort rund 35.000 Kunden Waren in ihre Einkaufskörbe. Doch die futuristische Konsumkathedrale befördert monotone Lebensräume und zehrt die Stadt aus  ■ Von Ansgar Oswald

Unübersehbar hebt sich der sternförmige Trabant von den mausgrauen Plattenbauten im Südosten Potsdams ab. Für 320 Millionen Mark hat die ECE Projektmanagement GmbH mit dem Stern-Center den rund 30.000 Einwohnern der Siedlungen Stern, Drewitz und Kirchsteigfeld ein „Einkaufszentrum der Superlative“ hingesetzt – rühmt sich der Investor.

Direkt an der Nuthe-Schnellstraße könnte das bislang größte von drei neuen Potsdamer Stadtteilzentren nicht besser plaziert sein. Von der Schnellstraße fahren die Besucher direkt auf das Parkdeck. Unter der Glaspyramide und Glas-Stahl-Dächern gleitet man bequem in eine postmoderne Einkaufsstadt. Auf 40.000 Quadratmeter reihen sich in den zwei 450 Meter langen Flanierstraßen Wand an Wand 85 Geschäfte und Gastronomien. Irene Winkler ist begeistert: „Früher gab es hier ja nichts außer dem Konsum“, erinnert sich die Potsdamerin, die endlich froh ist, „alles unter einem Dach kaufen zu können“.

Im Stern-Center vereint sich alles: Dienstleistungsanbieter, Anwaltskanzleien, Schuhgeschäfte, Computermärkte, Parfümerien, Juweliere, Boutiquen und Bekleidungshäuser, Spielwaren, Floristen, Teeladen, Coiffeur und Bäcker. Lockvögel sind freilich die überall anzutreffenden Filialisten wie Kaiser's, Vobis, Adler, Hugendubel, C&A, Hennes & Mauritz oder Spiele Max. „Alles marktstarke Anbieter, die schon für sich genommen eine eigene Anziehungskraft entwickeln“, die zugleich auch Magneten für die kleinen Einzelhändler sind, stellt der Center-Manager Thomas Schmalfuß fest. Er ist zufrieden. Zur Eröffnung konnte er in ganzseitigen Werbeanzeigen 100.000 Besucher vermelden. Mittlerweile hat sich die Kundenzahl auf täglich 30.000 bis 35.000 eingependelt. Von denen komme, so Schmalfuß, ein Viertel aus dem näheren Wohnumfeld, „quasi per pedes oder mit dem Fahrrad aus dem Wohnzimmer über die Hängebrücke ins Einkaufszentrum“.

Doch die meisten Kunden kommen mit dem Auto, denn das Stern-Center zielt auf einen Einzugsraum von 460.000 Einwohnern von Zehlendorf bis Brandenburg (Havel) und von Fahrland bis Treuenbrietzen. „Der Neugiereffekt“, weiß der Center-Manager, „reicht aber weit darüber hinaus.“

Anziehend wirke der Branchenmix, weshalb sich Schmalfuß auch jeden Vergleich mit den Zentren wie Havelpark in Dallgow oder Südring in Großmachnow verbietet. Das Stern-Center ist keine „grüne Wiese“, dafür aber der Versuch, urbanes Leben unter einer Käseglocke zu inszenieren.

Dafür soll die gastronomische Mischung sorgen: Asia Snack, Pizza Pasta, Savay Kebap oder einfach der Metzgerimbiß reihen sich in der Galerie; Eiscafés, Bistros, Espresso- und Eisbar mitten auf den schnurgeraden Boulevards; Sitzgruppen an Pflanzen, Bäumchen und grüngarnierten Springbrunnen vermitteln die Aura einer Fußgängerzone und sind Treffpunkte für Jugendliche. Der 17jährige Kai findet das Stern-Center „eintönig, aber als Treffpunkt mit Freunden ist das schon okay“, meint er und fügt hinzu: „Außer den drei Jugendclubs gibt's hier ja nichts“, und dort geht er nicht gerne hin.

Das Stern-Center läßt den öffentlichen Raum zwar nicht verschwinden, reduziert ihn aber auf das private Gelände. Die futuristische Konsumkathedrale belebt folglich nicht das Umfeld, sondern fördert eindimensionale Lebensräume. Damit widerspricht das Stern-Center der Philosophie des Stadtbaudirektors Richard Röhrbein, mit den Nebenzentren eine „Stadtstruktur der kurzen Wege“ schaffen zu können, um „Verkehr zu vermeiden“. Denn der Gigant ist nicht nur Handels- und Dienstleistungszentrum, sondern Teil eines Stadtgebietszentrums, das hier bis 1998 an der Nahtstelle zwischen Potsdam und Berlin entsteht. Das Stern-Plaza mit einem 24stöckigen Wohn-und-Büro-Turm als krönender Abschluß der Shopping- Kathedrale ist bereits im Bau. Neben dem Stern-Center wird in zwei Jahren auch der Freizeitpark Drewitz mit einem Cinemaxx für 2.000 Besucher, einer Diskothek, Spaßbad, Einzelhandelsflächen und einer großen Veranstaltungshalle eröffnet.

Anläßlich der Tagung „Bauen und Zeitgeist“ im Herbst letzten Jahres merkte der Religionshistoriker Hans J. Hillerbrand lakonisch an: „Mit dem Stern-Center ist die Shopping-Mall, die zur Auszehrung der amerikanischen Innenstädte beigetragen hat, nun in Potsdam angekommen.“

Richard Röhrbein hält Kritikern eine „Sehnsucht nach dem Tante-Emma-Laden“ vor, von dem „wir alle wissen, daß es ihn nicht mehr gibt“, und verteidigt die Shopping-Malls à la Stern-Center als „Indikator der Massengesellschaft“. Tatsache aber ist, daß die neuen Kundenströme die alten Stadtzentren von Babelsberg und Potsdam auszehren.

Seit das einzige Kaufhaus in der Fußgängerzone letztes Jahr geschlossen hat, ist zusätzlich Kaufkraft abgeflossen, weiß Jörg Teich von der Industrie und Handelskammer. Erst 1999 wird die Karstadt AG das Jugendstilgebäude wiedereröffnen. Und vor dem Jahr 2010 erwartet Baustadtrat Detlef Kaminski kein Ende der Stadterneuerung.

Für die Einzelhändler bedeutet das Umsatzeinbußen bei gleichzeitig unverhältnismäßig hohen Mieten. 120 bis 160 Mark pro Quadratmeter sind keine Seltenheit. „In Babelsberg haben sehr viele ihr Geschäft aufgegeben“, berichtet der Schreibwarenhändler Uwe Petermann. Und auch für Hannelore Knoblich, die eine Boutique betreibt, ist die Geschäftsauflösung keine fixe Idee mehr. Knoblich und Petermann gehören zu den zwölf eingesessenen Kaufleuten, die im Stern-Center eine weitere Niederlassung gegründet haben, „um die Verluste in der Innenstadt durch den Absatz dort auszugleichen“.

Zwar verbessert das verlockende Einkaufsparadies in der drögen Plattensiedlung die gesamtstädtische Handelsbilanz und bewahrt einzelne vor dem Konkurs, ist aber zugleich zu einer „scharfen Konkurrenz für die City“ geworden, so Cornelius van Geisten. Angesichts der schleichenden Auszehrung resümiert der Geschäftsführer des Sanierungsträgers zerknirscht, „man hätte erst die urbane Struktur der Innenstadt revitalisieren müssen“. Der stadtplanerische Ansatz von Stadtbaudirektor Richard Röhrbein, mit den Stadtteilzentren den Bettensiedlungen eine wohnnahe Versorgung und urbane Identität zu verschaffen, ohne daß gleichzeitig die alten Stadtkerne ausbluten, erweise sich als gefährlicher Wettlauf mit der Zeit.