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Kräftemessen zwischen ETA und Aznar

Drei Tote in zwei Tagen durch Anschläge der baskischen ETA in Spanien. Die konservativen baskischen Nationalisten, Stütze der Madrider Regierung, drängen auf Verhandlungen  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Ein Vermummter hat gestern dem Leben des Unternehmers Francisco Arrazibel auf dem Carnaval in der baskischen Kleinstadt Tolosa mit einem Kopfschuß ein Ende gesetzt – das dritte Opfer der baskischen Separatistengruppe ETA in nur zwei Tagen. Arrazibel, der in den achtziger Jahren mit ETA die Freilassung eines anderen Unternehmers, des Wurstfabrikanten Emiliano Revilla, ausgehandelt hatte, wurde seither von den Entführern beschuldigt, einen Teil des Lösegeldes selbst eingestrichen zu haben.

Die Anschlagswelle sei „der kritischste Augenblick“ seiner nicht einmal einjährigen Amtszeit, so Innenminister Jaime Mayor Oreja, der bereits am Montag einen Israelaufenthalt vorzeitig abgebrochen hatte, als eine gegen einen Kleinbus der spanischen Luftwaffe gerichtete Autobombe von ETA im andalusischen Granada einen Toten – den Friseur des Militärflughafens – und acht Verletzte gefordert hatte. 125 Bewohner eines anliegenden Armeewohnblocks mußten evakuiert werden. Der Sprengsatz hatte eine der Außenwände des Gebäudes zum Einsturz gebracht. Mayor Oreja orderte sofort den Rückflug.

Noch im Wartesaal erreichten ihn zwei weitere Meldungen: Der am Obersten Gerichtshof – Tribunal Supremo – für Sozialfragen zuständige Richter, Rafael Martinez Emperador (68), war am frühen nachmittag auf dem Heimweg von ETA erschossen worden. Kurz zuvor hatte die baskische Polizei, die Ertzainza, ein Vorstandsmitglied der linksnationalistischen baskischen Wahlkoalition Herri Batasuna, Eugenio Aramburu (42), in seinem Elternhaus erhängt aufgefunden. Noch am gleichen Nachmittag hätte er vor eben diesem Tribunal Supremo aussagen sollen, wo er zusammen mit den restlichen 24 Vorstandsmitgliedern der „Unterstützung einer bewaffneten Vereinigung“ angeklagt war. Wie der Rest seiner Vorstandskollegen auch, hatte sich Aramburu geweigert, der Ladung nach Madrid Folge zu leisten. Anschläge und Selbstmord bilden den traurigen Höhepunkt eines Kräftemessens zwischen den baskischen Linksnationalisten und der spanischen Regierung.

Der Zeitpunkt der Anschläge scheint nicht zufällig gewählt. Am Montag traf sich Spaniens Regierungspräsident José Maria Aznar mit dem Chef der baskischen Regionalregierung José Antonio Ardanza. Dieser war nach Madrid gereist, um „eine Befriedung des Baskenlandes“ einzufordern. Seine Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) macht seit Tagen mit einem Dokument von sich Reden, das „einen Dialog ohne Vorbedingungen“ zwischen Zentralregierung und ETA einfordert. Unter Verweis auf Palästina und Nordirland beteuern die gemäßigten Nationalisten in ihrer Erklärung, sie seien nicht länger bereit hinzunehmen, daß das Baskenland „der letzte Winkel der westlichen Welt ist, in der die irrationale Gewalt mit politischen Zielen weiterbesteht“. Die Anschuldigungen aus Regierungskreisen, solcherlei Forderungen würde nur ETA Vorschub leisten, weist PNV-Chef Ardanza entschieden von sich und droht mit eigenen Schritten in Richtung Gesprächsprozeß, falls Madrid nicht endlich handle.

Die PNV schreibt sich die baldige Beilegung des seit 40 Jahren währenden bewaffneten Konfliktes nicht von ungefähr auf ihre Fahne. Seit Ardanza und die Seinen die konservative Minderheitsregierung Aznar unterstützen, stehen sie unter Erfolgszwang, denn viele der eigenen Anhänger zu Hause in der rebellischen Nordregion betrachten diesen Pakt mit den traditionell zentralistischen Konservativen voller Skepsis.

Neben mehr Selbstbestimmung und Verhandlungen mit ETA, stehen deshalb die politischen baskischen Gefangenen ganz oben auf der Liste der von der PNV in Madrid immer wieder vorgetragenen Themen. Die über 600 wegen ihrer Zugehörigkeit zu ETA Inhaftierten sind über die gesamte iberische Halbinsel und die Kanarischen Inseln verstreut. Die PNV und der Menschenrechtsausschuß des baskischen Parlaments verlangen seit Monaten eine Rückführung in heimatnahe Haftanstalten, ein Recht, das – auch wenn es auf die Eta-Mitglieder nicht angewandt wird – in der spanischen Verfassung festgeschrieben ist.

Die PNV ist sich bei ihrer Politik der Unterstützung der katholischen baskischen Kirche gewiß. Die Sozialbeauftragten der verschiedenen Diözesen arbeiten derzeit ein Erklärung aus, in der ebenfalls eine Gesprächslösung im Baskenkonflikt verlangt wird.

Trotz ständigen Beteuerns der eigenen Härte, macht die Regierung Aznar erste Zugeständnisse. Wie bereits im Sommer vergangenen Jahres werden auch in den letzten Tagen wieder stillschweigend baskische Gefangene in die Nähe ihrer Heimat verlegt.

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