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Einzug der braunen Nahkämpfer

Neonazis wollen Autonomes Jugendzentrum in Tostedt leiten. Lokalpolitiker sorgen für das „demokratische Deckmäntelchen“  ■ Von Marco Carini

Die Zeichen stehen auf Sturm in Tostedt (Kreis Harburg-Land). Rechtsradikale Jugendliche wollen die Führung des Autonomen Jugendzentrums (JUZ) übernehmen, mit Rückendeckung der lokalen Jugendpolitiker.

Bereits seit Jahren kommt es in der Nordheide-Kleinstadt zu gewaltsamen Übergriffen organisierter Neonazis. So drang im Juni vergangenen Jahres eine mit Knüppeln und Schreckschußpistolen bewaffnete Horde brauner Nahkämpfer in das JUZ ein, zerstörte Mobiliar sowie Fenster und zertrümmerte einem polnischen Austauschschüler das Jochbein (taz berichtete).

Nun droht eine neue Stufe der Eskalation. Denn erstmals – so legten der Tostedter Jugendpfleger und offizielle JUZ-Leiter Jürgen Petersson und Gemeindedirektor Volker Laubrich fest – wird der siebenköpfige Jugendrat des laut Statut „antirassistischen“ Zentrums nicht von den JUZ-BesucherInnen gewählt. Statt dessen sind alle Tostedter Jugendlichen nächste Woche zur Wahl des Gremiums aufgerufen.

„Wir wollen verhindern“, begründet Petersson den neuen Wahlmodus, „daß die Aktivierung von zehn Freunden reicht, um in den Jugendrat gewählt zu werden und nicht organisierte Jugendliche keinen Zugang haben“. Dem amtierenden Jugendrat wirft er vor, alle BesucherInnen „auszugrenzen“, die nicht aus dem Dunstkreis der Tostedter Antifa stammen.

Die Peterssonsche Wahlrechtsreform dürfte den Jugendrat tatsächlich für ganz andere Gruppen öffnen: Gleich vier ortsbekannte Rechtsextremisten haben ihre Kandidatur unter dem Deckmämtelchen der Demokratie angekündigt. Darunter die Tostedter Kader der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN), Sacha Bothe (27) und Sebastian Stöber (19) sowie der 16jährige Ben Polter, der wie die beiden anderen Kandidaten auch am Überfall im Juni beteiligt gewesen sein soll.

Ihre Chancen, den linken Jugendtreff zu übernehmen, stehen nicht schlecht. „Wir wissen, daß die Rechten ihre Leute mobilisieren, an der Wahl teilzunehmen“, sagt Maurice D., Mitglied des noch amtierenden Jugendrates. Die Treffpunkt-Besucher verstehen die Welt nicht mehr: „Wie kann es angehen, daß die Leute, die das Jugendzentrum überfallen haben, jetzt für das JUZ kandidieren und es ehrenamtlich leiten dürfen?“

Die Jugendratsmitglieder sehen in der amtlichen Wahlverordnung „den planmäßigen Versuch, daß JUZ plattzumachen“. Wenn „ortsbekannte Rechtsradikale zukünftig im Jugendrat sitzen, sehen wir keinen Sinn mehr in unserer ehrenamtlichen Arbeit“, klagt ein 17jähriger, der dem Mitverwaltungsgremium angehört. Das JUZ sei „für Jugendliche da, die sich zusammen mit AusländerInnen etwas Gemeinsames aufbauen wollen“. Doch ein solches Konzept sei im Verbund mit den kahlgeschorenen Ausländerfeinden nicht zu verwirklichen.

Eine gewaltsame Konfrontation steht möglicherweise schon heute und morgen bevor: An beiden Tagen finden vor dem Tostedter Gericht Verfahren gegen Antifaschisten aus dem Umfeld des JUZ statt, denen die Staatsanwaltschaft „Körperverletzung“ vorwirft. Sie sollen Skinheads geohrfeigt haben. Bereits seit Tagen mobilisieren nach Informationen der taz Neonazis und AntifaschistInnen auch in Hamburg zu dem Prozeßtermin: Showdown in Tostedt?

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