piwik no script img

Flüssige Worte für kluge Köpfe

■ Der Bremer Lokal-Literat Jürgen Alberts hielt eine Lese aus weinseliger Poesie / Das „puritanische“ Oratorium lauschte genüßlich / Der Rezensent fand's etwas trocken

Friedrich Engels antwortete einst, gefragt nach seiner Definition von Glück: „ChÛteau Margot 1848“. Welch besserer Zeuge als ausgerechnet dieser Vordenker des Kommunismus ließe sich finden, um den Beweis zu führen, daß man es beim Wein nicht einfach mit einem Getränk zu tun hat, sondern mit einem fundamentalen Kulturgut. Schließlich gilt der Durst nach dem gekelterten Traubensaft seit alters her den Dichtern und Denkern nicht etwa als schnöde körperliche Sucht, sondern geradezu als Ausdruck der dem Menschen ureigenen geistigen Dimension. Denn, wie der Geistliche Herbert Heckmann es in einer seiner Weinpredigten formulierte: „Durstig sein, heißt mit Neugier leben“. Auch der Schriftsteller Jack London (der sich bekanntlich zu Tode gesoffen hat), bescheinigte dem Durst eine „geistige Herkunft“, wohl wissend, daß er sich damit in die beste Gesellschaft der Geistesgrößen von Ovid über Baudelaire bis Pablo Neruda einreihte.

Solche Erkenntnisse dem Publikum einzuflößen, das ebenso reich an Zahl wie Geist am Dienstag abend in den Lichthof des Übersee-Museums geströmt war, trat kein geringerer an als der Lokalmatador der Bremer Literaturszene, Krimi-Autor Jürgen Alberts. In Kooperation mit dem Instituto Cervantes und dem Generalimporteur für argentinischen Wein, „Vinosur“, hatte das Übersee-Museum Alberts für eine literarische Weinprobe engagiert, die als Begleitprogramm zur derzeit laufenden Ausstellung „Bremen – Weinmetropole im deutschen Norden“ fungierte. So stand er also zwischen den Bambushütten aus Indonesien, das Gesicht halb verdeckt von einer Designer-Tischleuchte, um sein Publikum in ebenso gelehrigem wie amüsantem Vortrag über die Kulturgeschichte des Weines zu unterhalten. Exkurse über den Rebensaft als Grundpfeiler von Mythos und Religion, die Wege der Winzerkunst durch die Jahrhunderte und Kontinente und literarische Bonmots in lyrischer und prosaischer Form verschränkten sich da zu einem facettenreichen Bild, dem sich genüßlich lauschen ließ, während einem gleichzeitig die auserwählten Gewächse durch die Kehle rannen, die der Importeur zuvor und in der Pause kredenzte. Allein: so gestenreich und stimmgewandt Alberts auch von südamerikanischen Kochrezepten zu Pablo Nerudas „Ode an den Wein“, von Ovid zu Dionysos eilte, der Rausch des Geistes, der einst im alten Rom die Menschen zu bacchantischen Orgien beflügelt hatte, wollte sich in dieser Umgebung einfach nicht einstellen.

Vielmehr lauschten die „puritanischen Bremer“ (so Museums-Abteilungsleiter Dr. Hartmut Roder in seiner Begrüßung) weitgehend schweigend und honorierten die rhetorische Kunst des Vortragenden selbst bei Ringelnatz nur mit einem zurückhaltenden Lächeln. Was sicher nicht daran lag, daß Alberts selbst den ganzen Abend nur Wasser trank, weil er sich eine zweimonatige Abstinenz verordnet hatte, und auch nicht daran, daß sein Co-Autor Christian Cortes leider aufgrund einer Kehlkopfentzüngung ausfiel, sondern daran, daß der Ort für eine solche Veranstaltung nicht recht taugen wollte. Der Bühnengraben im ehrwürdigen Museum war einfach zu groß, als daß der Funke hätte überspringen können.

So erlebte man an diesem Abend wenig von jener beflügelnden, ins sinnliche Reich des Eros drängenden Macht des Weines und wähnte sich eher in der Rolle einer Audienz, die in fest geschlossenen Reihen, ohne Blicke für die NachbarInnen, einem Radio-Feature folgt. Als solches war die Veranstaltung „vino divino“ ursprünglich denn auch konzipiert, was sie nicht eben geeigneter machte für ein kommunikatives Erlebnis. Ein Mangel, der dadurch noch verstärkt wurde, daß man den begleitenden Weinausschank unmittelbar nach dem Vortrag einstellte, so daß vom Erlebnismoment der Kultur, das Museumsmacher Roder so gerne beschwört, am Ende nicht viel mehr übrig blieb als eine theoretisch überzeugende Idee.

Moritz Wecker

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen